Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Bier, genoss die kühle Flüssigkeit, die ihre Kehle hinunterlief. Gleichzeitig fühlte sie sich unbehaglich. Worauf wollte Luigi hinaus?
»Es war ein Unfall«, hatte Enrico eines Tages erklärt. »Aber ich möchte nicht darüber sprechen. Versteh das bitte!«
Aurelia hatte sich erst ein, zwei Wochen später an Elena gewandt, nachdem Enrico ihr vorgeschlagen hatte, zu ihm zu ziehen. Sie hatte das Gefühl, sie müsste es erfahren, bevor sie diesen Schritt tat – was doch verständlich war.
»Es war sehr tragisch.« Elena hatte diesmal nicht übertrieben. »Catarina hatte eine Schlaftablette zu viel genommen. Ein Unglück, natürlich. Als Enrico sie fand, war es bereits zu spät.«
In den folgenden Monaten hatte Aurelia mehr darüber in Erfahrung gebracht. Catarina schlief schlecht, und Stefano war ein schwieriges Baby. Überdies war Enrico eines Nachts verschwunden … Wenn mehr an der Sache gewesen wäre (Aurelia wusste nicht, was das hätte sein sollen), würde sich doch jeder weigern, noch darüber zu sprechen. Es war Vergangenheit. Für beide ein schmerzliches Geschehen. Wie sehr musste Enrico die Fragen gehasst haben, die unweigerlich folgten! Kein Wunder, dass ihm seine Privatsphäre über alles ging. Konnte man es ihm verdenken?
Aurelia schob die düsteren Gedanken beiseite und trank das Glas zu hastig leer, legte ein paar Euro auf den Tisch und erhob sich.
Im selben Moment stand Luigi neben ihr. Sein gebräuntes Gesicht war noch fleckiger als vorher. »Er hat sie dazu getrieben«, sagte er. »Wir werden es niemals vergessen.«
Aurelia wollte es nicht hören. » Grazie . Äh …« Sie wandte sich zum Gehen, doch er verstellte ihr den Weg – ein kleiner, aber kräftiger Mann, die Hände in die Hüften gestemmt, mit dunkler, wettergegerbter Haut, schwarzem Haar und einem stoppeligen Kinn, das sich ihr entgegenreckte. Sie roch den alkoholisierten Atem, der sich mit seinem üblen Körpergeruch mischte.
»Er hat sie allein gelassen. Sì, sì. In der Nacht, als sie starb, war er bei einer anderen Frau.«
Aurelia versuchte, nicht hinzuhören.
»Sie … Sie war verzweifelt«, fuhr er fort. »Und er? Pah! Er hatte nur seine Geschäfte im Kopf. Geld!« Luigi schnippte derartige habgierige Interessen mit einer Handbewegung fort. »Er hat sie so früh ins Grab gebracht.« Er fluchte und spuckte auf die Straße. »Bastard!«
» Basta! Es reicht.« Aurelia umrundete ihn und hastete über die Piazza. Warum rannte sie eigentlich? In ihrem Magen rumorte es. Und weshalb duldete sie überhaupt, dass jemand, der keine Ahnung von den Umständen hatte, sie so in Rage brachte?
»Ehebrecher! Mörder! Abschaum!« Die Stimme bohrte sich geradezu in ihren Kopf und verfolgte Aurelia, bis sie den Fuß des Hügels erreicht hatte.
Sie eilte weiter, bog in den gepflasterten Weg ein, der durch den Kastanienwald hinunter zur Küstenstraße führte. Die Glyzinien rankten sich an der Befestigungsmauer entlang, verhüllten sie, so weit das Auge reichte, mit ihren purpurfarbenen Blüten. Doch diesmal schenkte sie ihnen kaum einen Blick. So viel Bosheit … Ob Enrico überhaupt ahnte, wie verhasst er in Aurelia war? Das erklärte das Verhalten der Dorfbewohner, die ihr mit einer Mischung aus Misstrauen und Mitleid begegneten.
Doch wieso hatte niemand in all den Jahren ein Wort darüber verloren? Aber weshalb sollten sie auch mit einer Fremden darüber reden? Obwohl sie schon so lange hier lebte, war sie für die Bewohner des Ortes nach wie vor eine der stranieri . Zumindest für alle außer Rosa und vielleicht Maria. Und wie oft hatte sie ihnen Gelegenheit gegeben, darüber zu reden?
Aurelia zitterte so stark am ganzen Körper, dass sie kaum in der Lage war, die schweren Eisentore zu La Sirena aufzudrücken.
Es konnte nicht wahr sein. Natürlich war es nicht wahr. Enrico hatte Catarina geliebt, immer, er konnte vor Trauer kaum von ihr sprechen oder gar das Labyrinth aufsuchen. Sie war seine Welt, seine Frau, sein Ein und Alles gewesen. Die Hand immer noch auf dem warmen Torgitter, hielt sie inne. Wenn es ihm aus einem Schuldgefühl heraus gar nicht möglich war, von ihr zu sprechen? Was, wenn Luigis geifernde Tirade der Wahrheit entsprach? Und wenn tatsächlich eine andere Frau im Spiel gewesen wäre? Was, wenn …
Sie schloss das Tor hinter sich und wanderte die Auffahrt hinauf, vorbei an den in der Abendbrise zart schimmernden, stattlichen Zypressen, blieb stehen und betrachtete das weiße, mit grauen Fensterläden versehene
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