Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Tränen aus. Doch er stand auf und öffnete die Arme.
Zögernd ging sie auf ihn zu. Sie war so sehr daran gewöhnt. Wollte sie wirklich hier sein, oder war es schlichtweg die schmerzloseste Wahl?
»Du bist erschöpft.« Er strich ihr übers Haar. »Die letzte Zeit ist sehr anstrengend gewesen – die Sache mit deiner Mutter und alles, was damit zusammenhängt.«
Er hatte Recht. Cari spürte, wie sich ihre Anspannung löste. Sie war wirklich müde … Vielleicht würde sie am nächsten Morgen anders über all dies denken.
»Du bist durcheinander. Es war alles zu viel für dich.«
Sie wurde ruhiger. Das war der Dan, den sie so sehr schätzte. Der sie von der Anspannung des Nachmittags mit einer schwierigen Kundin befreite und der es fertigbrachte, dass sie einschlief, indem er ihr übers Haar strich. Sie brauchte diesen Dan.
Er schwieg. »Ich werde immer für dich da sein«, sagte er. »Das musst du mir glauben.«
Cari schloss die Augen. Wenn er sich so gab, schien alles einfach zu sein, zu einfach. Ihr Fels …
»Lass uns für ein paar Tage wegfahren«, schlug er sanft vor. »Ich buche etwas für uns. Auf dem Festland. Was hältst du von Paris?«
Cari seufzte. Der Bann war gebrochen. Ja, er war sehr fürsorglich. Doch reichte das? »Vergiss nicht, ich habe Kunden«, erwiderte sie. »Und Mums Ausstellung wird bald eröffnet, schon vergessen?«
Sie spürte seine Enttäuschung, fand jedoch nicht die Worte, um einen Rückzieher zu machen. Außerdem verspürte sie auch keinen Wunsch dazu. Sie wollte keinen Mann, der nur dann verfügbar war, wenn es ihr schlecht ging. Sie wollte mehr.
Er hatte Recht, ein Tapetenwechsel würde ihr guttun. Aber nicht mit Dan, konstatierte sie traurig. Sie wollte allein sein.
Bedächtig nippte Aurelia von dem Vin Santo. Er schmeckte weich und nussig und schien sich geradezu an den Gaumen zu schmiegen. Sie schloss die Augen. Der Tag war nicht einfach gewesen. Geheimnisse … Hatte jeder Geheimnisse? Enrico in Bezug auf Catarina, Richard mit seiner Familie … (Ja, natürlich kannst du sie besuchen, sie möchten dich unbedingt kennenlernen …) Wie viele geplatzte Treffen waren vorausgegangen, ehe sie ihm die Wahrheit mit Gewalt hatte entlocken können! Bis er ihr eingestand, dass er sich seiner Familie schäme und sie daher aus seinem Leben ausgeblendet habe, dass seine Familie, wenn es nach ihm gehe, ebenso gut tot sein könne. Richard, der arme Kerl, hatte mit allen Mitteln versucht, seiner Herkunft zu entkommen. Dazu hatte er sogar ein Mädchen geheiratet, das jener Gesellschaftsschicht angehörte, die ihm so erstrebenswert erschien.
Sie stellte das Glas auf den Holztisch neben sich. Trotz dieses Gefühls von Traurigkeit musste sie doch beinahe über ihr einstiges Naturell lachen. Als sie Richard kennenlernte, war sie offensichtlich ein anderer Mensch als heute.
Sie lehnte sich in dem beigefarbenen Ledersessel zurück und sah sich in dem mit Marmor ausgestatteten Salon um. Wie elegant! Geradezu kühl. Gschmackvoll, aber doch irgendwie kalt. Richard … Wie lange lagen diese ersten Ehejahre zurück, in denen sie noch so hoffnungsfroh in die Zukunft blickte? Als sie eng umschlungen die zugige Promenade von Brighton entlangschlenderten, er ihr Zuckerwatte kaufte und ihr die Süße von den Lippen leckte. Als sie Hand in Hand, das Haar vom Wind zerzaust, über die salzverkrusteten Kiesel zum Meer liefen und kreischend zurückwichen, kaum dass die schaumgekrönten Wellen sie einzuholen drohten. Und später, auf die glatten Geländer des Palace Pier gestützt, sowohl auf das Wasser als auch auf ihren neuen Horizont blickten – plaudernd, lachend, den Kopf voller Pläne. Er würde ein berühmter, gefragter Schauspieler werden, und sie würden fünf Kinder haben und gemeinsam die Welt erkunden.
Was seine Eltern betraf, hatte sie die romantische Vorstellung besessen, Richard und sie würden die beiden in ihrer Sozialwohnung besuchen (wie arrogant sie doch gewesen war!) und es wäre sofort eine instinktive gegenseitige Zuneigung spürbar, die sie alle wieder zusammenführen würde. Eine große, glückliche Familie. Das Geld war kein Thema für sie gewesen, und das Milieu schien keine Rolle zu spielen. Ha! Aurelia nippte erneut an dem Wein mit dem nussartigen Aroma. Enrico hatte ihr einen Teller mit biscotti hingestellt, aber sie hatte das Gefühl, nichts mehr in sich aufnehmen zu können – weder an Essbarem und Wein noch an Gedanken und Ängsten.
In Wahrheit war Richards Mutter
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