Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
fragte sie, entschlossen, mehr herauszufinden.
Dorrie setzte eine vielsagende Miene auf und nahm sich reichlich Zeit, die Falten ihres Rocks zu glätten. »Er duldete keinen Unsinn«, sagte sie. »Nicht Mister Hugh.«
Cari spürte, dass das nicht alles war. Sie wartete.
»Und manchmal habe ich mich gefragt …«
»Ja?«
Aber Dorrie war plötzlich wieder verschlossen wie eine Auster. »Darüber steht mir kein Urteil zu«, erwiderte sie. »Es schickt sich nicht, über die Toten Schlechtes zu sagen.«
Noch mehr Geheimnisse, dachte Cari. Dorries Loyalität gegenüber den Familienmitgliedern währte noch über deren Tod hinaus. Cari stellte die Tasse ab. Für jede Einzelheit, die sie aufdeckte, tauchte offenbar ein neues Geheimnis auf. Warum hatte die Familie Hester nicht mehr besucht? Was dachte Dorrie wirklich über Hugh? Und was war Hesters Meinung dazu?
Gelb. Natürlich, das musste der Neid sein.
»Aber jetzt kommt das Wichtigste«, sagte Cari zu Marco. »Ich habe erfahren, dass Aurelia Brighton 1974 verlassen hat, um nach Italien zu gehen. Und meine Mutter hat Dorrie erst vor ein paar Jahren erzählt, dass meine Großmutter noch lebt.« Die Sonne schien warm auf sie nieder. Sie griff nach Marcos Arm. »Stell dir vor, Marco …« Fast wagte sie nicht, daran zu glauben. Doch wieso sollte Dorrie lügen?
Sie hatten die Sydney Street erreicht, die Heimat flippiger Accessoires. Hier befand sich Fat Mama’s Skateshop, hier tummelten sich Punk, Glamour und Retro. An der Ecke stand ein bärtiger Poet auf einer Seifenkiste und rezitierte Gedichte.
»Dann könnte sie noch am Leben sein.« Marco nahm die aufgeregte Cari bei der Hand und zog sie in einen Laden mit Secondhand-Kleidung. Ein muffiger Geruch schlug ihnen entgegen. Cari rümpfte die Nase. Eine Puppe im Schaufenster trug ein türkisfarbenes Ballkleid aus den Fünfzigern mit eng anliegender Taille und gerüschtem Rock. Auf dem Kleiderständer im Inneren des Geschäfts hingen mehr Kleider aus den Fünfzigern, echte alte Spitze, Anzüge und Smokings aus den Dreißigern und Vierzigern, Schlaghosen und Flower-Power-T-Shirts aus den Sechzigern. Die gesamte Mode des letzten Jahrhunderts schien hier vertreten zu sein.
Stimmt, dachte sie. Sie könnte noch am Leben sein.
»Was sollen wir anprobieren?« Marco nahm einen Filzhut von einem Hutständer und setzte ihn sich in einem verwegenen Winkel auf den Kopf.
»Für dich brauchen wir eindeutig einen Anzug aus den Vierzigern.« Cari grinste.
»Und für dich?« Er sah die Kleider an einer Stange durch.
Sie zog ein bodenlanges scharlachrotes Abendkleid der Dreißigerjahre hervor – eine Lage bestickter Seidenchiffon über einem Unterkleid aus Seidencrêpe, das jede Rundung betonte. Es war bezaubernd. Das Oberteil war figurbetont und besaß am Rücken einen tiefen Ausschnitt, der mit lockerem Faltenwurf fast bis zur Taille reichte. Das Design war gewagt, die Farbe gefährlich. Ein zeitloses Kleid, das den Charme einer vergangenen Epoche und die Verheißungen der Zukunft in sich vereinte. Ein gewagtes Kleid, dachte sie. Ein leidenschaftliches Kleid. Sie wünschte, sie hätte es erschaffen, den eleganten Schnitt entworfen, den Stoff in diese geschmeidige Fülle verwandelt, die sich nun über ihrem Arm bauschte.
»Es ist wie für dich gemacht.« Er stand neben ihr. Sie spürte seinen Atem heiß in ihrem Ohr, seine Stimme schmelzend wie ein mit Cappuccinocreme gefülltes Praliné aus einer Schachtel exquisiter Pralinen. Ein köstlicher Schauder lief ihr über den Rücken. Warum nicht?
Sie traten gleichzeitig aus den nebeneinanderliegenden Umkleidekabinen.
Er sieht aus wie ein Mafiaboss, dachte sie. Flott, dunkel, bereit, zum Dinner auszugehen, die Nacht durchzutanzen und die Frauen reihenweise zu verführen. Und sie … Nun, sie konnte an seinem Gesicht ablesen, dass das Kleid ihr stand. Das seidige Oberteil passte wie angegossen, und der rotgolden schimmernde Bernstein des keltischen Anhängers, den sie immer noch trug, harmonierte wider Erwarten mit dem Scharlachrot des Kleids.
Der Inhaber des Ladens hielt sich dezent im Hintergrund. »Ein bezauberndes Paar«, murmelte er beifällig. »Geradezu umwerfend.«
Seite an Seite betrachteten sie sich im Spiegel. Der Mann hat Recht, dachte Cari. Wir sehen wirklich umwerfend aus – und wirken tatsächlich wie ein Paar.
Langsam wandten sie sich einander zu. Am liebsten hätte sie dieses Kleid nie wieder ausgezogen. Was um alles in der Welt würde Dan sich zusammenreimen,
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