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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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erfahren?«, fragte er. »Von Dorrie?«
    »Hmm.« Sie bogen um die Ecke. Das Viertel North Laine bestand aus einer Reihe kleiner, meist verkehrsberuhigter Straßen, die sich von der Bond Street im Süden bis zur Trafalgar Street im Norden erstreckten. Sie hatten keine Verbindung zu den alten Lanes von Brighton, waren aber eine Fortsetzung der Altstadt und hatten sich ihr alternatives, künstlerisches Flair erhalten. Es war sehr tapfer von der alten Dorrie gewesen, sich ganz allein zu einer Fotoausstellung in einer Galerie aufzumachen. Sie war mutig und eine treue Seele. Den Großteil ihres Lebens hatte sie Caris Familie gewidmet, vor allem den Frauen, einer nach der anderen – Mary und Aurelia und sogar Tasmin.
    »Was ist mit Ihrer eigenen Familie?«, hatte Cari sie gefragt, als sie bei Tee und vor Butter triefenden getoasteten Rosinenbrötchen zusammensaßen. Cari hatte wiederholt versucht, einen Teil der Butter mit der Serviette abzutupfen, aber es war ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Deshalb hatte sie beschlossen, diese altmodische Opulenz einfach zu genießen und sich in eine Zeit zurückzuversetzen, in der kein Mensch einen Gedanken an gesättigte Fette und Cholesterinwerte verschwendet hatte.
    Dorrie war ein Einzelkind gewesen, und sämtliche Familienmitglieder waren bereits seit langem tot. Sie stand auf und zeigte Cari einige Fotografien, sepiafarbene Bilder in angelaufenen Silberrahmen von ihren Eltern und Großeltern, einer Tante und einem Onkel. »Ihre Familie war meine Familie, meine Liebe«, hatte sie erklärt. »Als das habe ich sie jedenfalls betrachtet.«
    »Ja, hab ich«, vertraute Cari Marco an. Sie gingen gerade an Infinity Foods – einem Naturkostladen – und dem Komedia Theatre vorbei, wo Cari eines der Programme mitnahm, die draußen in einem Wandhalter steckten. Dorrie hatte erzählt, dass Mary, Caris Urgroßmutter, eine schöne, aber kränkelnde Frau gewesen war, deren Leben von Traurigkeit überschattet wurde – obwohl niemand genau wusste, woher dieser Zustand rührte, und dass Marys Mutter Hester allein in Cornwall gelebt hatte. In Port Isaac, einem kleinen Fischerdorf an der Küste.
    »Die Familie hat Hester manchmal besucht«, hatte Dorrie ihr erzählt. »Sie haben eine Woche am Meer verbracht, und ich hatte frei.«
    Cari sah sich in der kleinen, vollgestopften Wohnung um und fragte sich, wie viel freie Zeit Dorrie in all diesen Jahren wohl gehabt hatte – vermutlich verschwindend wenig. Harte Arbeit, Einsatzbereitschaft und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber betrachtete man in jener Zeit als selbstverständlich. Die Rechte der Arbeiter hatten sich nicht auf Hausangestellte wie Dorrie erstreckt.
    »Und plötzlich hörten diese Fahrten auf.« Dorrie bestrich ein weiteres Rosinenbrötchen großzügig mit Butter. »Aus heiterem Himmel.«
    Warum wollte Mary ihre Mutter nicht mehr besuchen? Cari nahm das Brötchen in Empfang und legte es auf ihren Teller. Hester, dachte sie. Die Frau, von der ich anscheinend das kastanienbraune Haar und die grünen Augen geerbt habe. Noch eine Frau in der Familiengeschichte. Es waren immer die Frauen …
    »Nach dem letzten Besuch der Familie in Cornwall ist Hester allerdings eines Abends nach Hertfordshire gekommen«, fuhr Dorrie fort. »Sie hat sehr geheimnisvoll getan.« Als sie in ihr Brötchen biss, blieb ein wenig Butter an den Härchen über ihrer Oberlippe hängen. Sorgfältig wischte sie sich den Mund mit einer verblichenen Leinenserviette ab.
    »Geheimnisvoll?« Cari war fasziniert.
    Dorrie, die in einem alten Ohrensessel saß, nickte und beugte sich vertraulich vor. »Es war am Geburtstag der Kleinen, wissen Sie.«
    An Aurelias Geburtstag … Cari war fasziniert von Dorries Gedächtnis. Aber ältere Menschen konnten sich oft besser an weit zurückliegende Ereignisse erinnern als an den gestrigen Tag. In Dorries Wohnung war die Vergangenheit allgegenwärtig – die verblassten Fotos ihrer eigenen Familie auf dem Sekretär, Figurkrüge und gesprungene Vasen auf dem Kaminsims, ein alter, angelaufener Spiegel und eine verschossene Tapete mit altmodischem Magnolienmuster, dazu handbestickte Kissenbezüge und Schonbezüge über den Sesseln.
    »Dieses Haar …« Die alte Frau streckte eine knochige Hand aus und legte sie Cari auf den Kopf. »Damals wurde Hesters Haar schon grau.« Sie nahm die Hand weg. »Sie hat wie eine dieser wilden Frauen ausgesehen, die in der Nacht ihr Unwesen treiben, als sie so, in ihr Umschlagtuch gewickelt, vor der

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