Das Erbe der Uraniden
währenddessen den Zustand Cannings. Während sich Royas noch mit dem Kranken beschäftigte, hatte Harding den Saft eines Apfels, den Royas mitbrachte, flüchtig untersucht. Schon die rohe Analyse erweckte den Verdacht, daß man es hier mit einem dem Pilzgift Muskarin ähnlichen Stoff zu tun habe, der das Zentralnervensystem unter wechselnden Erregungszuständen zerstörte.
Als Royas ihm mitteilte, daß Canning eine große Menge dieser Früchte gegessen habe, erschrak Dr. Harding.
»Dann«, er schüttelte den Kopf, »ist jeder Versuch, ihn zu retten, aussichtslos. Hätte er nur eine Frucht gegessen, würde ich zu hoffen wagen. Doch so sehe ich keine Möglichkeit! Meine Mittel sind nicht wirksam genug. Wo Uranidenkunst versagte, muß auch irdische Kunst versagen. Versuchen will ich natürlich alles.«
Er eilte in das Raumschiff, wo er sich ein kleines Laboratorium eingerichtet hatte. Als Professor Royas den dreien vor dem Zelt die Worte Hardings mitteilte, bestätigten sie ihnen nur, was sie eben schon im Gespräch untereinander geäußert hatten.
»Ein Unheil schwebt über unserer Expedition«, unterbrach Oberst Robartson das Schweigen. »Ich wäre froh, wenn die Regierung in Kapstadt endlich die Konsequenzen zöge. Bald! Sie zögert wohl nur mit Rücksicht auf die Stimmung der Massen, die es nicht verstehen und verschmerzen können, daß in diesem Falle das südafrikanische Banner auf der ganzen Linie geschlagen ist.«
Er hatte nur zu recht. Die Nachricht von Cannings Erkrankung, von seinem unabwendbaren Tod, dem Tod, wie ihn die Uraniden erlitten hatten, verursachte in den Unionsstaaten eine ungeheure Erregung. Die Stimmung in den Staatsämtern in Kapstadt war geteilt. Man hatte sich dahin geeinigt, daß vorläufig Oberst Robartson das Kommando über die Expedition übernehmen solle. Die einen, doch ihre Zahl war gering, wünschten, daß der Oberst sofort mit dem Raumschiff startete, um andere, möglichst gutgelegene Teile der Venus in Besitz zu nehmen. Das Erbe der Uraniden war ja so oder so verloren. Doch die anderen wagten es nicht, sich mit einer solchen Maßnahme einverstanden zu erklären.
Noch unterhielt man sich vor dem Zelt, da kam die Nachricht von der Erde: Oberst Robartson ist Führer der Expedition.
Robartson hielt das Telegramm, das ihm der Funkgast übergab, in den Händen.
»Nichts weiter? Keine Instruktionen?« Der Funker verneinte.
»So wären wir«, er wandte sich zu Serrato, »gerade so weit wie vorher… Es ist, wie ich es ahnte. Man vermeidet es, die Konsequenzen zu ziehen. Man begnügt sich damit, mich zum Expeditionsführer zu ernennen. Alles, was ich Ihnen bisher im Gespräch gesagt hatte, ist meine persönliche Meinung… betrachten Sie es als nicht gesprochen… Noch bin ich an die alten Instruktionen, wie sie Canning bekam, gebunden.«
*
Stumm schritten van der Meulen und General Serrato Lees Lager zu. Das schreckensvolle Ende Cannings war der Schlußstein eines Unternehmens, das mit so großen Hoffnungen begonnen hatte. Im Lager Lees angekommen, fanden sie dort gleichfalls bedrücktes Schweigen. Lees Nerven waren durch den Vorfall des Tages stark erschüttert. War es auch der Feind, dieses tragische Ende konnte auch auf seinen Gegner seinen Eindruck nicht verfehlen.
Van der Meulen und Serrato boten alles auf, Lees Gedanken zu zerstreuen. Als Royas bei einbrechender Nacht zurückkam, fand er Lee bereits eingeschlafen. Sorgfältig untersuchte er den Daliegenden. Dann nickte er befriedigt.
»Eine gesund verschlafene Nacht, und er wird den Schock überwunden haben. Der morgige Tag mit seiner Fahrt, die so viel Abwechslung und Interessantes bietet, wird ihm eine gesunde Zerstreuung sein… Zwei liebevolle weibliche Herzen werden alle finsteren Gedanken verscheuchen.«
Lee verbrachte die Nacht in tiefem, festem Schlaf, Violet und Hortense wachten abwechselnd neben ihm.
*
Als am nächsten Morgen der Jonas Lee sich in die Luft erhob und in der Richtung nach Osten die Hochgebirgskette ansteuerte, schien Lee wieder in alter Frische zu sein. Die wechselvollen Bilder der Fahrt erzeugten bei allen das größte Interesse. Je näher man dem Gebirgsmassiv kam, desto höher stieg das Schiff. Es galt, unter den vielen gewaltigen Gipfeln, die zum Teil mit ewigem Schnee bedeckt waren, einige besonders markante herauszusuchen, nach denen man in genauer Nord-Süd-Richtung den Venus-Null-Meridian legen wollte. Die Arbeit nahm lange Zeit in Anspruch. Weit nach Norden, weit nach Süden mußte
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