Das Erbe der Vryhh
Atemzüge lang flog er waagerecht dahin, sank dann schnell in die Tiefe und berührte den Boden, noch bevor der Gleiter Hyarolls auf dem Landeteller aufsetzte. Willow hielt sich weiterhin hinter dem Busch verborgen und sah zu, wie der Alte Vryhh aus der Luftschleuse trat und in Richtung des Hauses schritt. Sie versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu interpretieren; in seiner Miene schien es zu keinen Veränderungen gekommen zu sein. Als er im Hauptgebäude verschwand, stand die Otterfrau auf und kehrte ins Lager zurück.
Sonnenkind schwebte heran und sank neben Willow zu Boden, die mit steifen Federn arbeitete. »Amaiki hat es geschafft«, sagte er.
»Mhm.«
»Hyaroll hat nichts bemerkt.«
»Gut.« Willow legte die Federn beiseite. »Ich brauche mehr Klebstoff.«
»Ich kümmere mich darum.«
Die Otterfrau streckte die Hand aus, und mit den Fingerspitzen berührte sie das Gesicht Sonnenkinds. »Du hast gute Arbeit geleistet.«
»Zusammen mit dem Kephalos.«
»Mhm. Und uns allen.« Sie lächelte Sonnenkind an. »Ja, wir haben dem Alten Steinernen Vryhh ordentlich eins ausgewischt.«
Vrithian
Zeugen (4)
Ein Ladenbesitzer in Grasa Dor
Mein Name lautet Tensio althe Nariozh. Meine Mutter stammt aus einer der besten Familien in Borbhal, doch ihr Vater war ein Spieler und verlor den größten Teil seines Vermögens, und sie mußte jemanden heiraten, der nicht ihrem Stand angehörte. Auf seine eigene Weise war mein Vater ein guter Mann, doch er hatte keine Manieren, und er ging meiner Mutter mit seiner lärmenden Lebhaftigkeit auf die Nerven. Er konnte sich nie dazu durchringen, an dem anmutigen und zurückhaltenden Lebensstil Gefallen zu finden, den sie so sehr schätzte. Ich sollte das eigentlich nicht sagen, denn ich weiß, wie es klingt - doch wenn mein Vater ins Zimmer kam, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Mutter wollte mich nach Cabozh schicken, an die außerhalb der Hauptstadt gelegene Universität von Inchacobesh, doch davon wollte Vater nichts wissen.
Seiner Meinung nach sollte ich Kaufmann werden und jenen Beruf von Grund auf erlernen - und zwar im wahrsten Sinn des Wortes.
Er drückte mir einen Besen in die Hand und ließ mich zusammen mit den Sklaven arbeiten, die er in Cobarzh gekauft hatte. Meine Güte - du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr die Turezh stanken. Und faul waren sie, immer müde und träge … Ich werde mir niemals solche Kerle in meinen Laden holen, weder als Arbeitshilfe noch als Ware. Bei der Vorstellung, wie sie mit ihren schmutzigen und schmierigen Händen meine kostbare Seide berühren, den Samt und die Stickereien, wird mir ganz schlecht. Sieh dir nur an, wie erlesen die Dinge sind, die ich meinen Kunden anzubieten habe, bewundere die Farben und die zarten Strukturen der Stoffe.
So gutes Tuch findest du nirgends sonst in Borbhal. Vielleicht jenseits des Fista-vey-Ozeans, in Cabozh. Aber hier nicht. Dämonen?
Ah, du meinst sicher die Unsterblichen. Ich möchte dich darum bitten, in meiner Gegenwart nicht jene gräßlichen Bezeichnungen zu verwenden. Ja, sie kommen mehrmals im Jahr hierher, um sich meine Angebote anzusehen. Nein, das ist keine Prahlerei, sondern die Wahrheit. Siehst du das hier? Das ehrenvolle Zeichen Algozars
- auf seine Anweisung hin wurde es in das Fenster meines Ladens geätzt. Bestimmt ist dir sein Dom aufgefallen, auf den Klippen der Bucht. Er erkennt prächtige Dinge, wenn er sie sieht, o ja. Und er spricht so mit mir, als gehöre ich ebenfalls zu den Erhabenen, ja.
Die Unsterblichen wissen Bescheid; sie fühlen das vornehme Blut in meinen Adern. Ich habe mir die größte Mühe gegeben, mich vom Vermächtnis meines Vaters zu trennen, seine ungebildete Schlichtheit zu überwinden, konzentrierte mich statt dessen auf die mütterliche Seite der Familie. Und ich bin stolz darauf, mir das würdevolle Benehmen zu eigen gemacht zu haben, auf das die Unsterblichen Wert legen. Sie meinten, ich käme sicher gut am Hof in meiner Heimat zurecht. Warum ich nicht dorthin zurückkehre?
Es gibt dort viele neidische Seelen, die Leute aus der Provinz vom König fernhalten. Und die Familie meiner Mutter, die in der Lage wäre, für mich zu intervenieren … nun, sie lebt von dem Geld, das ich schicke, aber sie weigert sich, meinen Status anzuerkennen. Ob ich verbittert bin? Nein, natürlich nicht, nur ein wenig enttäuscht.
Ich tröste mich damit, indem ich mich daran erinnere, daß mein ganzes Wesen dem eines Adligen entspricht und ich der wahre Repräsentant
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