Das Erbe der Vryhh
der alten und noblen Familie bin. Weißt du, der Gouverneur höchstpersönlich kommt in mein Geschäft, wenn er besonders erlesene Stoffe sucht. Und seine Gemahlin schickt mir ihren Schneider. Die Mätresse? Ich spreche nicht über die privaten Angelegenheiten meiner Kunden. Es betrübt mich, daß du eine solche Frage stelltest; ich hatte dich eigentlich anders eingeschätzt.
Nun, damit habe ich alles gesagt, was ich sagen wollte. Bitte geh.
Avosing
Handlung an der zweiten Front (1)
Als Shadith erwachte, verspürte sie einen pochenden Kopfschmerz, der alles andere verdrängte. Ihr Geist verweilte in einer Zone zwischen Ohnmacht und Bewußtsein, nahm kaum etwas
anderes wahr als nur dichte Finsternis um sie herum und einige Geräusche, die sie hörte und unmittelbar darauf wieder vergaß.
Die Übelkeit bildete Krämpfe in ihrer Magengrube, und sie war viel zu verwirrt und im Schmerz verloren, als daß sie sich an ihre Identität zu erinnern versuchte - und daran, was mit ihr geschehen war.
Nach und nach erweiterte sich ihr Bewußtsein und stellte fest, daß die Welt nicht nur aus pulsierender Pein bestand. Man hatte ihr die Hände zusammengebunden und einen glatten Holzpflock durch die Fessel geschoben. Beine, Knie und Füße waren ebenfalls geschnürt und mit dem gleichen Pflock verbunden. Sie konnte praktisch nur den Kopf bewegen, der nun hin und her baumelte, im Takt ihres von einer Seite zur anderen schwingenden Körpers. Irgend jemand trug sie, wie ein Schwein in Richtung eines Rostes.
Shadith öffnete die Augen einen Spaltbreit, strengte sich an, den intensivsten Kopfschmerz zu ingnorieren, an den sie sich zu erinnern vermochte, und nutzte das Schaukeln des Körpers, um den Schädel mit möglichst wenig Kraftaufwand zu bewegen - um einerseits mehr von ihrer Umgebung zu erkennen und den Entführern andererseits nicht zu verraten, daß sie wieder zu sich gekommen war.
Die Dunkelheit der Desorientierung erhellte sich. Man trug sie durch ein grünliches Zwielicht. Wald. Am Rand, wie zuvor. Ein Mann vor ihr, das Ende des langen Pflocks auf der Schulter, jemand, der wie ein Bernsteinsucher aussah. Aber das konnte nicht stimmen sie würden nie nein ein Waldbewohner von anderer Art. Ja, das klang plausibler. Ein zweiter Mann hinter ihr, im Äußeren kaum vom ersten zu unterscheiden. Große Männer, die in einem raschen Laufschritt dahineilten, so wie im Wald üblich.
Weitere Gestalten hinter den Trägern. Shadith ging ein gewisses Risiko ein, als sie sich im Verlauf einer Kurve weiter zur Seite neigte und nach hinten blickte. Ein zweiter Pflock. Vermutlich Linfyar. Armer Linfyar. Immer neue Krämpfe bildeten sich in ihrer Magengrube. Nur eine enorme Willensanstrengung verhütete, daß sie sich übergab. Die Übelkeit kam und ging wie Ebbe und Flut. Sobald das Schlimmste überstanden war, entspannten sich die Muskeln im Unterleib der Gefangenen. Eine dieser Phasen nutzte Shadith, um erneut nachzudenken. Sieht ganz danach aus, als könnte ich mir die Mühe sparen, die Reputation einer aufsässigen Provokateurin zu erwerben. Dies sind bestimmt Männer des Ajin, und sie scheinen nicht zum Scherzen aufgelegt zu sein. Die ganze Aufregung um nichts. Ich frage mich, ob der alte Plapperer mir noch immer Gesellschaft leistet. Falls ja, so hat er offenbar den Kopf eingezogen und hält sich zurück. Ha, ich möchte wetten, diese Mistkerle haben den geheimen Vorrat gefunden und sich meine schwerverdienten Münzen in die Taschen gesteckt. Schatten, Mädchen, eins verspreche ich dir: Wenn das stimmt, ziehe ich ihnen das Fell über die Ohren. Mhm, dann nehme ich bei der erstbesten Möglichkeit, die sich mir bietet, den Pflock und verdresche sie, daß die Fetzen fliegen. Was für eine lausige Art, durch den Wald zu reisen.
Shadith zog sich in eine Halbtrance zurück, um nicht mehr so sehr an dem Pochen hinter ihrer Stirn zu leiden, den Schmerzen, die die wundgescheuerten Stellen an Armen und Beinen verursachten - um die Beherrschung zu wahren und sich nicht zu etwas Törichtem hinreißen zu lassen. Nach einiger Zeit machten sich die Pollen bemerkbar und verbargen die reale Welt hinter einem Traumschleier. Das Bewußtsein Shadiths schwebte erneut in einer Grauzone, in der sich die Übelkeit mit dumpfer Qual und der Hitze eines leichten Fiebers vereinte. Als die beiden Träger sie irgendwann später vor einem verwittert wirkenden Gebäude in den Staub fallen ließen, scherte sich Shadith kaum mehr darum, was eigentlich mit ihr
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