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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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ihrer Erinnerung, und sie wußte nicht, ob sie damit die gleiche Wirkung erzielen konnte. Sie versuchte ihr Seelenheil zu wahren, indem sie auf subtile Weise danach trachtete, die Leute nicht völlig auf den Ajin zu fixieren. Die Schwestern Shadiths tanzten inmitten der goldenen Pollenwolken, lachten mit ihr zusammen, teilten ihre Dreistigkeit. Mit dem neuen Lied manifestierten sie sich noch eindrucksvoller als zuvor. Sie entspannte sich und gab sich ganz der Harmonie hin, sang von Liebe und Land und Heimat, von einer Liebe, die allem galt, was sich auf jenem Land bewegte oder darüber hinwegflog, von Liebe auch den Familienangehörigen und Nachbarn gegen
    über. Sie sang von Freiheit und der Notwendigkeit, sich selbst zu respektieren, verstärkte all das in den Männern und Frauen, was sie stur machte und dazu veranlaßte, hartnäckig ihre Unabhängigkeit zu verteidigen - ein gefährlicher Drahtseilakt, denn sie war einerseits bemüht, ihren eigenen Wertmaßstäben zu genügen und andererseits den Ajin über das hinwegzutäuschen, was sie machte. Doch als sie das Lied beendete und die entrückten Gesichter ihrer Zuhörer sah, war sie erschrocken. Sie hatte versucht, sie vor dem Einfluß des Ajin zu schützen, doch die Harmonienmuster ließen sich nicht genau präzisieren, und daher vermochte sie auch nicht exakt die Reaktionen des Publikums zu bestimmen. Shadith lehnte sich zurück und sah zu, wie der Ajin sie einer weichen Knetmasse gleich in eine Form preßte, die seinen Wünschen entsprach. Erneut begeisterte er sie, ließ Haß auf die Kolonialbehörde und die arroganten und unwissenden Pajungg von der Heimatwelt entstehen, die versuchten, über das Leben der Avosinger zu gebieten. Unmittelbar im Anschluß daran stellte er dem ein anderes Bild gegenüber, beschrieb das herrliche Leben nach der Unabhängigkeit, beendete seine Ansprache mit einer eindringlichen Aufforderung, sich ihm anzuschließen und mit ihm zu kämpfen, wenn die Zeit gekommen sei.
    Sein Gleiter sauste heran, schwebte eine Handbreit über dem Heuwagen, wartete, bis der Ajin und seine Begleiter in ihm Platz genommen hatten, und raste dann davon.
    Eine halbe Stunde später landete eine Truppeneinheit von Kirchensoldaten in dem Dorf, durchsuchte ergebnislos die Hütten und Dörfer und erzürnte die Bewohner - überzeugte mit ihren Verhalten mehr Leute von der Sache des Ajin, als es die Rede und das Lied Shadiths vermocht hatten.
    Im Verlauf der folgenden Tage besuchten sie auch noch andere Siedlungen im Grasland und den Küstensavannen, flogen sie im Zickzack über die weite und offene Region. Seteramb. Debauaben. Perkunta. Sturmhort. Sulata. Tobermin. Hatti-hti. Dubelas.
    Dabatang. Sogar nach Rhul und Rel auf der anderen Seite der Bucht von Dusta machten sie einen Abstecher. Sie forderten die Einheimischen zur Rebellion gegen die Pajungg auf, machten sich rasch auf und davon und entkamen so den Nachstellungen aufgebrachter und wütender Kirchensoldaten. Manchmal hatten sie dabei einen Vorsprung von mehrern Stunden; gelegentlich jedoch mußten sie sich auch in den Wald zurückziehen, wohin ihnen die Krieger des Doawai nicht zu folgen wagten. Einige Male kehrten sie in den Stützpunkt zurück, wo sich der Ajin mit Berichten über die zunehmenden Unruhen in den Dörfern befaßte, der wachsenden Opposition gegenüber der Kolonialbehörde. Zum erstenmal basierte sein Einfluß nun auf mehr als nur einigen wenigen Helfern und Anhängern. Daraufhin arbeitete er noch härter, unternahm immer längere Reisen, belastete Shadith und Linfyar bis an die Erschöpfungsgrenze, wurde immer hochmütiger und siegesgewisser. Und aufgrund irgendeiner Laune betrachtete er Shadith als eine Art Talisman, als seine ganz besondere Glücksbringerin. »Du bescherst mir Erfolg«, wandte er sich an sie, strich ihr sanft übers Haar und übersah das wütende Funkeln in den Augen des Mädchens. »Bald, ja, bald ist die richtige Zeit gekommen.«
    Sie fürchtete, er könne recht damit haben, und sie überlegte, auf welche Weise sie ihre eigentliche Aufgabe angehen sollte. Gegen Ende des dritten Neuntages hatte sie genug von ihrer Erschöpfung und dem intensiver gewordenen Abscheu vor sich selbst. Sie hielt dem Ajin ihre Hände vors Gesicht und zeigte ihm die abgenutzten Fingernägel. »Schluß damit«, sagte sie. »Hör nur: Ich krächze schlimmer als ein arthritischer Frosch.«
    Er lächelte sie an und klopfte ihr auf die Hände. »Magische kleine Finger. Würde dir ein Neuntag

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