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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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wenn die Wölfe dich in Ruhe ließen - bestimmt würden sie dir den Schlitten nehmen. Mit dem Fahrzeug könntest du es durchaus bis nach Shim Shupat schaffen, aber zu Fuß . . .
    Hinter dem Haus gab es einen großen Garten, dem viele Generationen hingebungsvoller Pflege Gestalt gegeben hatten. Einst war hier das Wasser eines kleinen Baches geflossen, an einem künstlichen Hang entlang, um anschließend in einigen langen und ruhigen Windungen mehrere Teiche zu speisen, in denen Lilien geblüht hatten. Das Wasser stammte aus dem Brunnen und war in einen hölzernen Tank gepumpt worden, an dessen Flanken sich noch immer Moosfladen zeigten. Ein kleines Wehr konnte geöffnet werden, um das Naß beständig über den sanft gewölbten Hang hinweggurgeln, in die Teiche und schließlich auch die Tröge fließen zu lassen, auf daß dort die Tedo ihren Durst stillen konnten. Jetzt war natürlich alles trocken. Es blühten keine Lilien mehr, und die anderen Pflanzen waren entfernt und mit moosigen Steinen ersetzt worden, in dem verzweifelten Bemühen, die Schönheit des Gartens zu erhalten. Von den meisten Büschen und Sträuchern waren nur Stummel übriggeblieben. Einige alte Bäume reckten nach wie vor ihre Stämme gen Himmel, doch die Blätter … ein vergilbtes Grün, schrumpelig und klein. Die Bewohner dieses Anwesens hatten so lange in ihrem Heim ausgeharrt, wie es ihnen möglich gewesen war. Wie sehr sie diesen Ort geliebt haben mußten. Amaiki war plötzlich froh darüber, daß sie ihr Heim nicht mehr gesehen hatte. Ich konnte mir die guten Erinnerungen bewahren, dachte sie. Bessere Erinnerung als im Fall der Brüder und Schwestern und Naidisa meines Stammes.
    Ich bin glücklicher dran. Ihr Lebens-Gewebe befand sich bei den Sachen im Schlitten, aber Amaiki nahm sich vor, diese Erkenntnis später als Knüpferei dem Muster hinzuzufügen.
    In dem grauen Licht, das nach dem Verblassen des ersten roten Scheins der Morgendämmerung bleibt, erwachte Amaiki aus einem wirren und gräßlichen Alptraum, in dem sich ihr immer wieder Visionen von Feuer und Finsternis darboten, von Blut und zerfetzten Leibern, in dem sie das Schreien furchtsamer Kinder und das Stöhnen der Sterbenden vernahm. In jenem kühlen Grau schlug sie die Augen auf, nicht ganz sicher, ob sie noch schlief oder wieder wach war, und sie lauschte Geräuschen, die ihren Ursprung in dem Alptraum zu haben schienen: das schrille und heulende Pfeifen von Kedoa, kehlige Flüche und wieherndes Gelächter, das Pochen von Hufen, das Ächzen und Knacken überlasteten Holzes, das Splittern von Glas. Als Amaiki in die Wirklichkeit zurückfand und sich orientierte, begriff sie, was sie hörte. Die Plünderer waren gekommen.
    Sie zog die Beine an und wich in die Wärme unter der
    gefütterten Decke zurück. Sie hatte einen üblen Geschmack im Mund und schluckte einige Male, fuhr sich mit der Zunge über trockene Lippen und horchte weiterhin den Geräuschen, die das Wolfsrudel verursachte, als es das Gehöft heimsuchte. Noch schlimmer als die Furcht, die sie nun lähmte, war die Elend in ihr erwek-kende Erkenntnis, daß es sich bei den Plünderern um Conoch’hi handelte, um Manai ohne Zirkelbindung. Mutterverlorene Frauen wie ich. Oh-ah, was treibt sie nur dazu? Was geschah mit ihnen, daß sie zu solchen Dingen fähig sindl Plötzlich rollte die breite Doppeltür auf. Amaiki schauderte und griff nach dem Schneider, rührte sich nicht von der Stelle und atmete ganz flach und leise.
    »Mutterverfluchte Mistkerle - sie haben alles mitgenommen.«
    Eine heisere und zornige Stimme, bei deren Klang sich der rudimentäre Kamm Amaikis aufrichtete und ein Haß in ihr entstand, der sie entsetzte, als sie Art und Intensität ihrer Reaktion bemerkte. Ebenso schnell wie das Land verwandeln wir uns in das zurück, was wir einst waren, dachte sie. Oh-weh, o Mutter aller Conoch’hi
    - steh mir bei.
    »Was ist mit dem Speicher, Napann? Soll ich dort mal nachsehen?« Eine ruhigere und nicht ganz so krächzende Stimme - aber als Amaiki diese Worte vernahm, setzte sie sich auf und hielt den Schneider bereit.
    »Nein. Alle einigermaßen wertvollen Dinge befanden sich im Haus. Hier ist bestimmt nichts versteckt. Sieh nur: Nicht einmal frisches Stroh gibt es hier.« Schritte, die sich entfernten. »Der Keller enthielt einige Vorräte - heute können wir ein Festmahl veranstalten …« Die Stimmen verklangen zusammen mit den Geräuschen der Schritte.
    Amaiki sank wieder zurück. Nach einigen Sekunden zog

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