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Das Erbe des Alchimisten

Das Erbe des Alchimisten

Titel: Das Erbe des Alchimisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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diesem Baby ist. Ich weiß nicht, warum Ray und Kalika sich so sehr dafür interessieren. Aber eines weiß ich genau: Sie sind die Letzten auf dieser Welt, die das Baby sehen dürfen!
Ich bringe sie ins berühmte Cedar-Sinai-Hospital, wo man überrascht ist, uns zu sehen. Doch als ich mit ein bißchen Bargeld und meiner goldenen Kreditkarte winke, sind alle mehr als diensteifrig und bemüht. Entsetzlich, daß selbst die medizinische Versorgung eines Menschen allein vom Geld abhängt! Ich bleibe bei Paula und helfe ihr, die notwendigen Formulare auszufüllen, dann werden wir beide in den Entbindungsraum gebracht. Das Baby scheint es wirklich eilig zu haben. Eine Schwester fordert mich auf, einen sterilen Kittel und einen Mundschutz überzuziehen. Sie ist nett, und sie läßt mich, ohne Umstände zu machen, bei Paula bleiben.
Paula ist mittlerweile schweißgebadet und krümmt sich, wenn die heftigen Wehen in Wellen kommen. Ein Anästhesist erscheint und bietet ihr ein Mittel an, das den Schmerz etwas dämpfen soll, aber Paula schüttelt den Kopf.
»Ich brauche nichts«, sagt sie. »Meine Freundin ist ja bei mir.«
Der Anästhesist wirkt alles andere als begeistert, doch ich bin gerührt über diese Bemerkung. In dieser Hinsicht bin ich ziemlich menschlich geworden. Jeder sentimentale Quatsch bewegt mich. Ich spüre Paulas Hand schweißnaß in meiner liegen, aber ich habe selten eine Berührung als so sanft empfunden.
»Ich bin bei dir«, flüstere ich beruhigend, »und ich bleibe auch hier.«
Das Baby führt uns alle an der Nase herum. Es ist acht Stunden später und spätabends, als es schließlich das Licht der Welt erblickt – ein hübscher Junge, gut siebeneinhalb Pfund schwer, mit vielen Haaren und großen blauen Augen, deren Farbe sich während der nächsten Monate vermutlich ins Braune verändern wird. Ich darf das Kind als erstes halten, und ich flüstere ihm das alte mystische Wort ins Ohr, welches es stets an sein wahres Ich, an seine Seele erinnern soll.
»Vak«, wiederhole ich wieder und immer wieder. Da das Kind nach der Geburt nicht geschrien hat, ist dies praktisch das erste Geräusch, das es auf dieser Welt hört. Auch der Doktor und die anderen Anwesenden waren im Moment der Geburt erstaunlich still. Es ist fast, als ob die Zeit einen Augenblick stehengeblieben wäre.
Vak ist ein Name für Saraswati, die Göttin der Rede, die Mutter, die das weiße Licht zu den Heiligen und den Propheten bringt. Das Baby lächelt, wenn es das Wort hört. Ich glaube, ich habe mich schon in das Kind verliebt. Während ich ihn sanft säubere und trockne und dann Paula reiche, frage ich mich, wer wohl der Vater des Kindes ist.
»Ist er gesund?« fragt sie erschöpft, aber trotzdem glücklich.
»Ja, er ist vollkommen«, sage ich und lache sanft, denn gleichzeitig spüre ich eine merkwürdige Wahrheit in meinen Worten, eine Ahnung von dem, was kommen wird. »Wie soll er heißen?«
Paula legt das Kind auf ihre Brust, ganz nah an ihren Kopf, und das Baby streckt sein kleines Ärmchen aus und berührt ihre Augen. »Ich weiß nicht«, sagt sie, »ich werde es mir überlegen?«
»Haben Sie noch nie über einen Namen für das Kind nachgedacht?« fragt eine Schwester.
Paula wirkt erstaunt. »Nein. Nie.«
Der Tod ist ein Teil des Lebens. Während ich zu Hause anrufe, um zu erfahren, wie Kalika mit den zwei Polizisten zurechtgekommen ist, wird mir bewußt, daß die Kinderstation und das Grab die zwei Seiten des Lebensfadens darstellen. Daß sie miteinander verbunden sind – auch durch eine undurchdringliche Dunkelheit, in der die Vergangenheit oft wie ein Spuk durch die Gegenwart huscht. Alle, die geboren werden, müssen sterben, sagt Krishna. Alle, die sterben, werden wiedergeboren. Weder das eine noch das andere soll ein Grund für Leiden sein. Doch selbst ich, mit meinen fünfzig Jahrhunderten Lebenserfahrung, bin nicht vorbereitet auf das, was mich jetzt erwartet.
Kalika nimmt am anderen Ende den Hörer ab. Es ist zehn Uhr abends.
»Hallo Mutter«, sagt sie.
»Du wußtest, daß ich es bin?«
»Ja.«
»Wie geht es dir? Bist du gerade erst heimgekommen?«
»Nein, ich bin schon eine Weile hier. Wo bist du?«
Ich zögere. »Hat Ray es dir nicht gesagt?«
»Doch. Du bist im Krankenhaus.«
»Ja. Wie bist du mit der Polizei zurechtgekommen?«
»Gut.«
Es ist nicht einfach für mich, die nächste Frage zu stellen: »Geht es ihnen gut?«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Mutter.«
Ich schließe einen Moment lang die Augen.

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