Das Erbe des Blutes - Roman
aufgekratzt. Er blieb lieber stehen und nippte an seinem Tee.
»Okay.«
»Wirklich? Wir haben nämlich Leute, mit denen Sie darüber
reden können. Gute Leute. Ich hab das auch schon mal gemacht.«
»Ich werd’s überleben«, entgegnete er und bereute seine Wortwahl auf der Stelle.
Heather nickte und nahm noch einen Schluck.
Die Einzelheiten der vergangenen Nacht waren immer noch unscharf, alles schien eine Ewigkeit und nicht erst ein paar Stunden her zu sein. Eine Sache kam ihm jedoch wieder in den Sinn, die er ansprechen musste. »Als ich im Zeitungsarchiv auf ein paar Akten warten musste, habe ich im Computer nach DCI Foster gesucht.«
»Aha«, sagte Heather. »Warum?«
Er zuckte mit den Schultern, denn er wusste es nicht. Das machte er einfach, wenn er Leute kennengelernt hatte: entweder im Netz oder in den Archiven.
»Keine Ahnung. Um mich zu beschäftigen. Ich kenne sonst niemanden, über den in den letzten zehn Jahren vielleicht in der überregionalen Presse berichtet wurde.«
»Sie haben das mit seinem Dad rausgefunden, stimmt’s?«
»Sie wissen davon?«
»Klar, das wissen alle. Damals gehörte ich zwar noch nicht zum Team, aber man hat mir alles darüber erzählt. Er wurde nicht angeklagt, deshalb konnte er seinen Job behalten. So einfach ist das.«
Das überzeugte Nigel nicht, aber es hatte keinen Zweck, noch weiter zu bohren. Heather sah ihn an.
»Er macht kein Geheimnis daraus: Er wusste, dass sein Vater sich umbringen würde, aber er hat ihn nicht daran gehindert. Das ist nicht das Gleiche, als hätte er ihn selbst umgebracht. Sein Dad wollte sterben. Foster hat es zugelassen. Nach Ansicht mancher Leute würde das jeder liebende Sohn tun; andere dagegen sehen darin Beihilfe zum
Selbstmord. Einer von ganz oben vertrat erstere Ansicht. Ich glaube, dass das richtig war.« Sie nahm noch einen großen Schluck Tee, dann sah sie ihn mit gerunzelter Stirn an. »Wenn ich in Ihrer Vergangenheit rumschnüffeln würde, was würde ich denn dann finden, Nigel?«, fragte sie und lehnte sich auf dem Sofa zurück.
»Nichts Besonderes«, murmelte er.
»Nun, Sie haben an der Uni gearbeitet, und in null Komma nichts machen Sie wieder Ihren alten Job als Ahnenforscher. Das hört sich für mich schon interessant an.«
Das war das eine Thema, das er vermeiden wollte. Er spürte, dass er nun, wo Heather ihm gegenüber in Bezug auf Foster offen war, mit der Sache nicht länger hinterm Berg halten konnte. Aber wie viel sollte er ihr erzählen?
»Ich hab jemanden kennengelernt. Es hat nicht funktioniert«, sagte er.
»›Hat nicht funktioniert‹ war so schlimm, dass Sie Ihren Job an den Nagel gehängt haben? Da hat ja was ganz schön nicht funktioniert.«
»Nun, die Vergangenheit schien mir plötzlich ein einladenderer Ort zu sein«, entgegnete er.
Sie sah sich kurz im Raum um: aus den Nähten platzende Regale, alte Kisten und Truhen auf dem Fußboden, vergilbte Fotos und eine Reihe edler Uhren, von denen keine die korrekte Zeit anzeigte.
»Sieht so aus, als ob das schon immer so gewesen wäre«, meinte sie.
14
Foster war zurück im Leichenschauhaus. Ich sollte mir hier ein Bett besorgen, dachte er. Der schnelle Blick in den Spiegel beim Gang zur Toilette hatte ihm gezeigt, dass dies der angemessene Ort für ihn war: Seine Haut sah aschfahl aus, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Einige auf der Totenbank sahen besser aus als er.
Als er ankam, hatte Carlisle die Autopsie des Obdachlosen gerade beendet.
»Gibt’s was Neues?«, wollte er wissen.
»Er ist nicht erhängt worden, so viel steht fest«, sagte Carlisle. Er wies auf den Nacken des Toten. »Kein Genickbruch. Aber beim Selbstmord eines betrunkenen Obdachlosen erwartet man ja auch keinen Fachmann am Werk. Es fehlt allerdings auch der Striemen vom Seil um seinen Hals. Den gäbe es, wenn die Schlinge vor seinem Tod angelegt worden wäre. Blaue Flecken, ebenfalls Fehlanzeige. Kein Hinweis auf Beschädigung der Kapillaren im Herzen, in den Lungen oder Augen - auch sonst nichts, was auf einen Erstickungstod hindeutet. Aber da sind ziemlich ausgeprägte Druckwunden auf seinen Pobacken und Schulterblättern. Demnach hat er ziemlich lange auf dem Rücken gelegen.«
»Wundgelegene Stellen?«
»Ja.«
Foster wusste, dass viele, die auf der Straße lebten, wenn sie krank wurden und deshalb ihre Beweglichkeit einbüßten, unter diesen wunden Stellen litten. Bürgersteige und Pappkartons waren häufig der Grund dafür. Dieser Typ sah jedoch nicht wie
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