Das Erbe des Blutes - Roman
darüber einen langatmigen Bericht; hier hab ich einen Auszug. Vielleicht interessant für Sie.«
Foster begann zu lesen.
Bei meiner Ankunft im Gefängnis wurde ich von einem Wärter empfangen, der die gewöhnliche Gefängniskleidung trug. Er fragte mich nach meinem Namen und zog daraufhin an einer Schnur, welche die Glocke des Gouverneurs anschlug. Wenige Sekunden später erschien der Gouverneur persönlich, ein überaus zuvorkommender Gentleman, der sich militärisch trug und sehr gut gekleidet war. Wir vertrieben uns die Zeit mit dem Austausch der üblichen Nettigkeiten. Er riet mir, mir am Abend eine reichliche Mahlzeit zu gönnen, angesichts dessen, was mich anderntags erwartete.
Er übergab mich der Obhut des Oberaufsehers, der mich freundlicherweise zu meinem Quartier führte, einer behaglichen Kammer an der Rückseite des Gefängnisses. Wir schmauchten zusammen, und mir fiel auf, dass dieser Gentleman aufgeregt war angesichts dessen, was anderntags geschehen würde. Er sagte, er sei ziemlich bestürzt wegen Fairbairns Schicksal und hoffe, dem Mann würde noch eine Begnadigung zuteil. Ich fragte ihn, warum er dies hoffe. »Weil ich das Gefühl habe, Sir, dass er die Verbrechen nicht begangen hat, für die Sie ihn hängen werden.«
Ich entgegnete nichts. Es war nicht an mir, die Entscheidungen des Gerichts zu hinterfragen, sondern einzig, meine Arbeit auf das Sorgfältigste zu erledigen. Heute gestehe ich zu, dass ich danach ein wenig Unruhe verspürte, da es sich um meine erste Hinrichtung handelte.
Am nächsten Tag erhob ich mich um fünf Uhr morgens und ging, unfähig ein Frühstück zu mir zu nehmen, direkten Wegs zum Schafott, um sicherzustellen, dass dort alles bereit war. Später dann, um dreiviertel acht, kehrte ich mit der Gruppe zurück, zum letzten Akt in diesem Drama. Wir gingen zur Kammer des Arztes, wohin auch der Gefangene gebracht wurde. Er war ein Mann von enormer Größe, was er sich indes bemühte, durch gebeugte Haltung zu verbergen. Er sagte kein einziges Wort. Er wurde in einen angrenzenden Raum verbracht, wo er und ein Priester sich dem Gebet widmeten. Als sie zurückkehrten, war es an mir, meine Pflicht zu tun. Ich trat auf Fairbairn zu. Seine traurigen braunen Augen blickten mich an. Es war ein Anblick, den ich wohl so lange vor meinem geistigen Auge haben werde, bis auch ich diese Erde verlassen muss. Noch immer weiß ich nicht, warum, aber ich tätschelte seine wuchtige Schulter. »Nehmen Sie allen Mut zusammen«, hörte ich mich zu meiner eigenen Beruhigung sagen.
Ganz ohne Hilfe schritt Fairbairn zum Schafott. In seinen letzten Worten beteuerte er lediglich mit schleppender, sonorer Stimme seine Unschuld. Ich zog ihm - nun mit zitternden Händen - die Kapuze über sein Haupt. Die Schlinge ward ihm um den Hals gelegt, und ich vergewisserte mich, dass er direkt unter dem
Balken auf der Falltür stand. Alles war ordnungsgemäß, und schnell wie ein Blitz ward der Schuldige ins Jenseits befördert.
Nachdem er für tot erklärt war und man ihn für die vorgeschriebene Stunde hatte hängen lassen, trat ich heraus, um ein wenig Luft zu schnappen. Der Oberaufseher schmauchte daselbst. »Ist es vorbei?«, fragte er leise.
Ich nickte.
»Gott sei uns gnädig«, sagte er mit Tränen in den Augen. »Gott sei gnädig.«
Foster beendete seine Lektüre und blickte Nigel an. Es war jetzt von höchster Bedeutung für ihn, sich die Zeugenaussagen aus dem Prozess anzusehen. Was war geschehen, das den Oberaufseher so verstört hatte? An keiner Stelle war die Rede von Zweifeln.
Nigel sah auf einen neben dem Café stehenden Rechner. Das Bestellte war im Lesesaal eingetroffen. Foster folgte ihm durch einen Raum, in dem produktive Stille herrschte, hinauf zum Abholbereich. An der Ausgabetheke erhielten sie eine große Kiste mit Akten und fanden einen unbesetzten Tisch. Nigel öffnete die Kiste, woraufhin Foster ein riesiges Buch mit mehr als tausend Seiten sehen konnte. Nigel nahm es heraus und legte es vorsichtig auf den Tisch. Die Aufschrift auf dem Deckel lautete: »Gerichtsverhandlungen im Old Bailey«.
Nigel blätterte schnell vorwärts. »Nur um Sie vorzuwarnen«, sagte er zu Foster gewandt. »Die Seiten sind trocken, aber kommen Sie nur nicht auf die Idee, sich die Finger zum Umblättern anzulecken, es sei denn, Sie wollen vor allen Leuten von einem Wachmann zur Schnecke gemacht
werden.« Nigel blätterte weiter. Schließlich stoppte er. »Da wären wir«, sagte er und schob den Band
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