Das Erbe des Bösen
nicht rechtzeitig zum Flughafen gekommen.«
»Sie werden sicherlich auch verstehen, dass wir aufgrund solcher allgemeinen Informationen keine Maßnahmen ergreifen können. Wir brauchen von der deutschen Polizei eine offizielle Bitte um Amtshilfe, aber die liegt uns bislang nicht vor.«
Erik war klar, dass seine Behauptungen unglaublich wirr klingen mussten. Trotzdem war es besser, jetzt nicht in eine Schimpftirade |365| auszubrechen, denn das würde die Vorurteile auf Behördenseite nur bestätigen. Aber irgendwann musste es ihm doch gelingen, jemanden dazu zu bringen, ihm zu glauben.
»Könnte ich Sie vielleicht heute in London aufsuchen?«, fragte Erik.
»Verfügen Sie über irgendwelches konkretes Material? Wenn ja, bringen Sie es unbedingt mit, sonst ist es schwer für uns . . .«
»Ich verstehe.«
Der Beamte nannte seine Durchwahl. Nach dem Gespräch begab sich Erik zur Gangway und rief Katja an.
»Ich kann nur kurz sprechen, aber ich komme mit der nächsten Lufthansa-Maschine nach Heathrow«, sagte er, ohne einen Hehl aus seiner Anspannung zu machen. »Hör zu. Kauf dir ein Ticket irgendwohin, damit du in Heathrow durch die Sicherheitskontrolle kommst. Dann gehst du zu dem Gate, an dem der B A-Flug 0991 ankommt. In der Maschine wird ein großer dunkelhaariger Mann sein, der einen grauen Anzug, ein dunkelblaues Hemd ohne Krawatte und schwarze Schuhe trägt. Seinen Trenchcoat hat er vermutlich über dem Arm hängen. Außerdem hat er eine abgewetzte Aktentasche bei sich. Folg ihm vorsichtig, er darf nichts merken. Hoffen wir, dass er in irgendein Auto steigt. Falls ja, schreib das Kennzeichen auf. Falls er ein Taxi nimmt, notiere dessen Nummer. Und falls er mit dem Zug fährt, versuchst du auf keinen Fall, ihm zu folgen. Hast du verstanden?«
Nach kurzem Schweigen fiel Katjas Antwort so unüberhörbar gekränkt aus, dass es Erik die Kehle zuschnürte.
»Ist dir eigentlich klar, was du in letzter Zeit von mir verlangt hast?«
»Katja, ich . . .«
»Jetzt hörst du mir mal zu! Ich weiß nicht, was du dort überhaupt treibst. Erik . . . Ich vertraue dir, aber allmählich geht mir das alles zu weit. Wenn du willst, dass ich dich unterstütze, dann musst du auch
mir
vertrauen. Verstehst du das?«
Einen Moment lang verschlug es Erik die Sprache. Er schämte |366| sich. »Katja, ich verstehe dich, glaub mir. Es tut mir leid. Und ich bin dir so dankbar, wie du dir gar nicht vorstellen kannst . . .«
»Schon gut. Dann ist das Thema erledigt.« Zu seinem Erstaunen hörte Erik ein Lachen aus Katjas Stimme heraus. »Hauptsache, du verstehst mich. Natürlich müssen diese Dinge geklärt werden.
Gemeinsam
. Ich habe mir deine Anweisungen eingeprägt, ich fahre auch zum Flughafen. Und wenn du kommst, erzählst du mir alles. Okay?«
Erik war so erleichtert, dass er lächeln musste – trotz allem.
»Okay. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun sollte. Ich ruf dich bald an.«
Nach dem Gespräch starrte Erik noch eine Weile auf sein Handy und dachte an Katja. Dann riss er sich zusammen und machte sich auf den Weg zur Maschine. Sobald er saß, nahm er die Fotokopien, die er vor den Flammen gerettet hatte, aus seiner Tasche. Die Aufzeichnungen waren später gemacht worden als die in den bisherigen Tagebüchern, im Jahr 1945, kurz vor Ende des Krieges.
3.2. Wir sind in der Reaktorentwicklung weiter als Heisenberg. Das wurde letzte Woche endgültig klar, als der Rest des schweren Wassers und des Urans zu uns nach Stadtilm gebracht wurde und nicht zu Heisenberg in seinen Haigerlocher Keller.
Rolf meint, der neue Standort sei gut gewählt, zur unterirdischen Raketenfabrik Mittelwerke sind es nur hundert Kilometer. Ich mache mir Sorgen um unsere Gesundheit, denn wir sind unternährt und dabei Röntgen-, Gamma- und Neutronenstrahlungen ausgesetzt.
Alle wichtigen Vorhaben sind mittlerweile in Sicherheit gebracht worden, u. a. wurde die Ultrazentrifuge Mark III-A von Freiburg in die Fallschirmseidenfabrik Celle verlegt. Ich habe Angst um Katharina, denn seit unserem Aufbruch von der Versuchsstelle Gottow habe ich nichts mehr von ihr gehört.
|367| Erik blätterte in dem Stoß weiter. Die chronologische Ordnung war durcheinandergeraten. Das jüngste Datum, das er fand, war der 30. 3. 1945.
Seit dem Morgen heilloses Durcheinander in Stadtilm. Rolf und mir ist der Befehl erteilt worden, das U-235 in ein Versteck zu bringen. Die Alliierten rücken Stunde für Stunde näher. Die SS wird uns
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