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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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persönlich übernahm die Vorstellung: »Doktor Hagen, Doktor Brinkbäumer . . .«
    Schließlich war Rolf an der Reihe. Er spürte sein Herz schneller schlagen. Die Härchen auf seiner Haut richteten sich auf. Wie von ferne hörte er Speer sagen: »Doktor Narva aus Finnland.« Blitzschnell wischte sich Rolf die schweißnasse Handfläche an der Hose ab und streckte die Hand aus, bemüht, gelassen und würdevoll zu wirken. Der Führer zauberte ein erfreutes Lächeln auf sein Gesicht.
    »Aus Finnland? Ein sehr tapferes kleines Volk! Wissen Sie, dass Sie heute schon unser wichtigster Verbündeter im Kampf gegen den Bolschewismus sind?«
    Noch immer hielt der Führer Rolfs Hand in beiden Händen. »Und Sie sind so jung! Wie alt sind Sie?«
    Rolf räusperte sich nervös. »Ich bin fünfundzwanzig, mein Führer!«
    Für einen Moment schien das Lächeln Hitlers bis in seine seltsam violettblauen Augen zu steigen. Noch einmal drückte er Rolfs Hand und sprach in väterlichem, halb scherzhaftem Ton: |79| »Bauen Sie uns die Bombe, junger Mann . . . Mein Vertrauen in Sie alle hier ist groß. Seien Sie dieses Vertrauens würdig!«
    Rolf schluckte. »Wir werden unser Bestes tun, mein Führer!«
    Der Führer schüttelte bereits die nächste Hand   – Hans stand direkt neben ihm   –, als Rolf spürte, wie sehr er sich anstrengen musste, um nicht am ganzen Leib zu zittern. »Die Bombe«. Wo wollte dieser Mann sie denn am liebsten abwerfen? Über London? Über Moskau oder Leningrad vielleicht . . .
    Hitler wurde zum Empfangsschalter der Eingangshalle geleitet, dort stand er zwischen den Reihen der Wissenschaftler. Er ließ seinen Blick über die Doktoren, Ingenieure und Techniker schweifen, die auf das Wort Gottes warteten. Seine Stimme war beherrscht, aber sie trug, und die sorgfältige Artikulation akzentuierte seine Botschaft zusätzlich.
    »Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig dieses Vorhaben ist. In Galizien ist es der Roten Armee bereits gelungen, auf das Gebiet des Reiches vorzustoßen. Die militärische Kraft der Bolschewiken hat uns in erschütternder Weise überrascht. Meine Generäle warnen immer dringlicher vor Landungsabsichten der Briten und Amerikaner in Frankreich. An sich beunruhigt mich das nicht, denn ein solcher Plan ist praktisch unmöglich in die Tat umzusetzen. Aber die Festung Europa ist dennoch in großer Gefahr . . .«
    Die Emotionen, die in Hitlers Worten durchklangen, veranlassten Rolf, den Blick zu Boden zu richten.
    »Zu viele Generäle haben mein Vertrauen enttäuscht. Je schwieriger die Lage wird, umso mehr müssen wir auf neue Waffen setzen. Ihr Vorhaben, meine Herren, Ihre geheime Bombe, kann der letzte, entscheidende Faktor sein: die Wendung, die Deutschland siegreich aus diesem Krieg hervorgehen lässt! Zum Glück können wir uns darauf verlassen, dass ein entsprechendes Vorhaben der Amerikaner nicht annähernd so weit gediehen ist . . .«
    Der entscheidende Faktor, dachte Rolf. Aber hatte Hitler auch tatsächlich recht? Waren die Amerikaner wirklich hintendran, |80| und konnte Deutschland den Krieg
dank uns
noch gewinnen? Wie viel Zeit blieb Deutschland überhaupt, wenn der Rückzug an der Ostfront mit der jetzigen Geschwindigkeit weiterging? Oder wenn es tatsächlich zur Landung der Alliierten in der Normandie käme? Dann geriete Deutschland in einen Zweifrontenkrieg, und das würde mit Sicherheit das Ende bedeuten. Zum Henker mit Hitlers Vertrauen, wenn kaum noch Sand in der Uhr rieselte. Und was für einen Grund hatte er überhaupt, Deutschland den Sieg zu wünschen?
    Es gab nur einen: die Lage Finnlands. Wenn Deutschland fiel, fiel Finnland mit ihm. Anders konnte es nicht sein.
    Die Begegnung mit dem »Führer« gehörte zu Rolfs stärksten Erinnerungsbildern – und zu seinen geheimsten. Einerseits hätte er es vor seinem Tod gern an die nachfolgende Generation weitergegeben, als peinliches, aber zugleich auch historisches Ereignis, wenn ihn die Scham nicht gezwungen hätte, zu schweigen. Wie naiv war er in jenen Jahren gewesen, geblendet von seinem wissenschaftlichen Ehrgeiz.
    Hitlers geheimes Vorhaben tauchte plötzlich drohend aus dem Grab auf, aus dem Dunkel der Geschichte. Und das Ziel der Bedrohung waren nun Rolf und seine Familie.

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    Erik seufzte schwer, während er in Helsinki-Vantaa am Gate der Maschine nach Berlin in der Schlange stand. Vor seinem inneren Auge sah er den Mann, der mit der Waffe in der einen und einem Foto in der anderen Hand ruhig durch die

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