Das Erbe des Bösen
gehen und . . .«
»Was ist denn passiert?«
»Frag nicht, bitte. Geh zu Mutter und sprich mit ihr über den Krieg . . . Frag sie, was sie damals getan hat. Wo sie war. Sie hat behauptet, Vater könne kein Deutsch, aber das ist alles Lüge. Wie es aussieht, war auch sie während des Krieges in Deutschland.« Eriks Stimme zitterte leicht.
Am anderen Ende war es einen Moment still.
»Woher weißt du . . .«
»Ich erklär dir das alles später, bitte. Ich kann jetzt einfach nicht.«
Erik erzählte ihr in aller Kürze von seinen Befürchtungen und beendete das Gespräch dann rasch.
Das Taxi kroch im dichten Verkehr voran. Nach Aussage des Historikers Kohonen hatte Eriks Vater ein Stipendium für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik erhalten. Und jetzt soll Eriks Mutter – den Worten einer verwirrten alten Frau zufolge – etwas mit dem Institut für Erbforschung und Rassenhygiene zu tun gehabt haben. Erik hatte über dieses Institut zahllose Aufsätze und Artikel gelesen, in denen es um die Ethik der Wissenschaft gegangen war.
Konnte das möglich sein? Hatte seine Mutter in Deutschland Biologie studiert?
Es schien vollkommen absurd. Eugenik. »Rassenhygiene«. Allein das Wort jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Andererseits passte die Information vollkommen zu der Tatsache, dass seine Mutter ein so leidenschaftliches Interesse für die Genetik hegte – ein Interesse, das Erik von ihr geerbt hatte . . .
|120| Er versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er als Student einst über die Rassenhygiene der Nazis gelesen hatte. Die Eugenik selbst war keine Erfindung der Nazis gewesen, aber sie hatten damit angefangen, ihre kranken Schreckenstaten mit den »Erkenntnissen« der Rassenhygiene zu begründen.
Erik rechnete schnell aus, wie alt seine Mutter zur Zeit des »Dritten Reiches« war. Zu Beginn des Krieges war sie einundzwanzig gewesen, bei Kriegsende siebenundzwanzig. In gewisser Weise wäre es kein Wunder, wenn sie über etwas schwiege, was sie bis ans Ende ihres Lebens abstempeln würde. Außerdem wäre sie ohne Verheimlichung ihrer Vergangenheit nie in die Vereinigten Staaten gelangt. Was für eine Schande das sein musste . . . Immer vorausgesetzt natürlich, dass diese Information überhaupt stimmte. Sie stammte schließlich von einer fantasierenden Greisin, über deren Herkunft Erik nichts wusste.
Dennoch – vor diesem Hintergrund bekamen plötzlich Bilder und Erinnerungen in Eriks Kopf eine ganz neue Bedeutung: Charakterzüge seiner Mutter, ihre Reaktionen in verschiedenen Situationen während seiner Kindheit, ihre oft unangenehmen Bemerkungen und Ansichten. Ganz zu schweigen von ihrem Interesse für die Soziobiologie und die Evolutionspsychologie, für ihre nicht selten rassistischen Einwürfe, die sie stets in den Mantel der »Wissenschaft« kleidete, die in Erik aber schon oft Scham und Zorn ausgelöst hatten. War es denkbar, dass der Samen für all das in ihrer Jugend in Deutschland gelegt worden war?
Zum Naturell seines Vaters passte eine Vergangenheit in Deutschland dagegen überhaupt nicht. Aber Kohonens Informationen waren unstrittig.
Erik überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Er hatte beschlossen, zur Polizei zu gehen, falls er bis zehn Uhr nichts von seinem Vater hörte. Jetzt war es Viertel nach acht.
Aber sein Vater lebte. Warum sich also unnötige Sorgen machen? Andererseits war da das kurze Aufblitzen eines blassen, erregten Gesichts auf einer von Bäumen beschatteten Straße . . . Sein Vater hatte verstört gewirkt. Und er hatte sich weder am |121| Telefon gemeldet noch zurückgerufen. Es sah aus, als wäre er nach Berlin gekommen, um sich um eigene Angelegenheiten zu kümmern, von denen es, falls die an diesem Tag aufgetauchten Informationen stimmten, durchaus einige geben konnte.
Aber was waren das für Angelegenheiten? Und gingen sie Erik etwas an?
Standen sie mit etwas in Zusammenhang, was auch andere Personen außer Erik dazu veranlassen konnte, Rolf Narva zu suchen?
Ein bewaffneter Unbekannter in der Wohnung des alten Vaters in Helsinki, ein zweiter Unbekannter in seinem Hotelzimmer in Berlin. Und nun die Aussage der alten Frau, ein junger Mann hätte den Vater herumkommandiert.
Wer hatte ihn herumkommandiert? Und warum?
An dieser Stelle überkam Erik das schlechte Gewissen. Katja machte sich bestimmt Sorgen. Hoffentlich verstand sie, dass es hier um gravierende Dinge ging, hoffentlich verstand sie den Ernst der Lage.
»Hier geht es offenbar unter
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