Das Erbe des Bösen
der Autobahn hindurch nach links in Richtung Friedrichroda, und dann nach rechts.«
Hoffmann, der allmählich die Geduld zu verlieren schien, gab Manfred Anweisungen.
Auf dem Rücksitz versuchte Rolf, die Karte zu entziffern.
»Stimmt das?«, fragte Hoffmann ihn scharf.
Rolf überlegte eine Sekunde. »Ja. Dort biegen wir ab.«
Über den Feldern entlang der Straße brach die Abenddämmerung herein, im Hintergrund zeichneten sich bewaldete Höhenzüge ab. Rolfs Gesichtszüge spannten sich.
Er hatte die Situation von allen Seiten betrachtet, ohne zu einem neuen Ergebnis gekommen zu sein. Eine Tatsache dominierte und überlagerte alle anderen: das Foto von Emil und Olivia vor dem Sommerhaus auf der Insel Pellinki, das Hoffmann ihm gezeigt hatte.
Hoffmann meinte es ernst.
|122| Und ernst hatte es auch der Unbekannte im Pflegeheim gemeint.
Rolf seufzte tief auf und sah aus dem Fenster. Hinter Tabarz erhob sich bereits der Große Inselsberg mit seinen flachen, bewaldeten Höhen.
»Wir müssen irgendwo in eine Nebenstraße einbiegen und einen steilen Anstieg hinauf«, sagte er nach langem Schweigen. »Es ist sicherlich sinnvoll, Ortsansässige zu fragen, ob sie sich an das alte Bergwerk und das verlassene, vielleicht aus dem 17. Jahrhundert stammende Herrenhaus in der Nähe erinnern können . . .«
»Wir haben keine Lust, unnötige Aufmerksamkeit zu erregen«, erwiderte Hoffmann.
»Aber das würde die Suche beschleunigen. Ansonsten irren wir vielleicht tagelang durch die Gegend, ohne zu finden, wonach wir suchen.«
Hoffmann antwortete nicht, bedeutete Manfred aber, zu der Tankstelle zu fahren, die einsam und verlassen zwischen den Zuckerrübenfeldern stand.
»Ihr wartet hier«, sagte Hoffmann zu Manfred und Rolf.
Rolf war sicher, dass Erik sich längst wundern würde, warum er nichts von seinem Vater hörte. Oder hatte Erik beruflich so viel zu tun und kam gar nicht auf den Gedanken?
Nein. Erik würde sich nicht nur wundern, sondern er würde auch handeln. Und das war in diesem Fall alles andere als gut – denn Erik konnte nicht wissen, dass Olivia und Emil in Gefahr waren.
Hoffmann kam zurück.
»Die Frau wusste sofort, was ich meine«, sagte er und wirkte einen kurzen Augenblick lang beinahe fröhlich. »Wir müssen durch Brotterode fahren und kurz nach der Ortschaft rechts abbiegen, wo es nach oben geht. Typische Wegbeschreibung einer Frau: ›ziemlich gerade durch‹ und ›kurz nach‹, aber besser als nichts. Klingt das richtig, Herr Narva?«
»Das ist bestimmt die Route, die wir damals zu Fuß hinuntergegangen |123| sind. Die richtige Straße, oder genauer gesagt war es damals eher ein Feldweg, müssen wir trotzdem suchen«, sagte Rolf wahrheitsgemäß.
Sie fuhren weiter, durch Brotterode in Richtung Trusetal.
»Dort ist eine kleine Straße«, sagte Hoffmann. »Versuchen wir es auf der nach oben?«
Rolf nickte. Der Augenblick der Wahrheit rückte näher.
|124| 16
Katja parkte den Hybrid-Toyota vor dem Haus ihrer Schwiegermutter in der Mize Close in Cobham, einem südöstlichen Vorort von London, und stieg aus. Eine einsame Straßenlampe leuchtete in der Dämmerung des feuchten Augustabends.
Katja hielt sich betont aufrecht, denn sie fühlte sich unsicher. Eriks Anruf war absurd gewesen. Und sie sollte nun ihre Schwiegermutter nach Dingen fragen, von denen sie nichts verstand. Hatte sie sich womöglich angewöhnt, Erik zu sehr zu vertrauen? Die Einfahrt zum Grundstück war geschlossen, aber das Gartentor war offen. Während sie auf die Haustür zuging, warf Katja einen Blick in den für ihren Geschmack allzu penibel gepflegten Garten.
Nach Eriks Anruf hatte sie im Internet nachgesehen, was dort über die von Erik erwähnte Einrichtung gesagt wurde. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem war das »wissenschaftliche« Zentrum der Rassenhygiene im nationalsozialistischen Deutschland gewesen. Während ihres Studiums in Helsinki hatte Katja ein Buch zur Gen-Ethik gelesen, in dem es auch um die Rassenlehre der Nazis gegangen war. Davon war ihr ein Foto in Erinnerung geblieben, auf dem ein Mann im weißen Kittel die Körpermaße zweier Zwillingsmädchen nahm. Sollte Ingrid mit solchen Dingen zu tun gehabt haben?
Katja ließ den gusseisernen Löwenkopf, der als Türklopfer diente, gegen die Metallplatte auf der Haustür schlagen. Es verging eine Weile, aber Ingrid öffnete nicht. Katja klopfte erneut an.
|125| Sie hatte schon immer das
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