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Das Erbe des Greifen

Titel: Das Erbe des Greifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl A. DeWitt
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nehmen konnte, offenbarte sich deutlich, dass die Zeit nicht spurlos an ihnen vorübergegangen war. Bis auf wenige Ausnahmen waren alle Dächer eingestützt, die Fenster nicht mehr als leere Höhlen. Nur noch zwei der Häuser waren völlig intakt. Ein lang gestrecktes Gebäude mit hohen Säulen und einer prächtigen Fassade, das zur linken Hand des Weges stand, der hoch zum Tempel führte, und eine herrschaftliche Villa, die etwas weiter weg zu ihrer Rechten lag.
    »Mich wundert, dass ihr bislang nicht versucht habt, diese Gebäude zu erforschen«, sagte Astrak leise.
    »Wie kommt Ihr darauf, dass wir es nicht taten?«, fragte Delos verwundert. »Nur hörten wir alsbald damit auf, auch wenn die Priester des Darkoth nicht erfreut darüber waren. Aber zum Schluss haben sie sich auch nicht mehr in die Nähe des Tempels getraut.«
    »Ihr habt aufgehört? Warum?«
    »Weil zu viele von uns einfach spurlos dabei verschwunden sind. Jemand ging um die Ecke eines der Häuser und ward nicht mehr gesehen.« Delos zeigte auf das lang gestreckte Gebäude. »Wenn einer der Priester Darkoths auch nur einen Fuß in das Gebäude dort drüben setzte, war es sicher, dass er nicht mehr wiederkommen würde. Nach dem dritten Mal haben sie es dann schließlich begriffen.« Er atmete tief durch. »Nur ging es eben leider nicht nur den Priestern so.«
    »Wisst Ihr, was dieses Gebäude einst war?«
    »Es war die Tempelschule. Und das Haus dort drüben«, er wies auf die Villa, »war die Botschaft der Elfen. Über beiden muss eine Art von Magie liegen, die sie vor dem Verfall bewahrt hat, wenn auch nicht vor der Verderbnis. Der Baum dort, im Garten der Villa … er kann sich bewegen, er fängt alles, was ihm zu nahe kommt, mit seinen Ästen und Wurzeln ein. Und in der Tempelschule gibt es Geister. Man kann hören, wie sie durch die Hallen streifen und sich über längst Vergangenes unterhalten … manchmal kann man sie sogar sehen.«
    »Habt Ihr sie denn selbst gesehen?«
    »Ja.« Delos bedachte die alte Schule mit einem nachdenklichen Blick. »Es ist vor allem so unheimlich, weil sie so normal erscheinen. Keine Geister, die mit Ketten rasseln, kein Skelett, das einen mit schauderhaftem Stöhnen zu erschrecken sucht, sondern junge Männer und Frauen, lächelnd oder in ernste Gespräche vertieft … nur dass man weiß, dass es Schatten aus längst vergangenen Tagen sind, die auf ewig in diesen Mauern gefangen umherwandern. Manchmal, wenn man aus dem Fenster sieht, sieht man die alte Stadt, wie sie vor der Katastrophe war. Und manchmal ging dann einer von uns durch eine Tür und verschwand für immer. Vor unser aller Augen. Einfach so.« Er sah Astrak an. »Ich kannte nicht nur einen, der sogar absichtlich durch eines der Fenster einstieg und verschwand, weil er meinte, alles wäre besser, als hier für Belior zu sterben.«
    Astrak wollte noch etwas sagen, aber mittlerweile hatten sie das Tor in der Tempelmauer erreicht.
    Die Natur hatte den einst so gepflegten Tempelgarten zurückerobert. Dichtes Unterholz, hohe, knorrige Bäume und hüfthohes Gras hatten den breiten Weg zu den schweren, bronzenen Türen des Tempels fast gänzlich überwuchert. Breite Ranken wanden sich um Säulen und krochen über Wände, es gab kaum eine Stelle, die nicht von irgendeiner Pflanze überwachsen war. Die Gewächse selbst, obwohl wild wuchernd, erschienen Astrak vollkommen gesund, als hätte die Verderbnis vor den Mauern des Tempels Halt gemacht. Und unter all dem Grün schien der Tempel unberührt vom Lauf der Zeit die schreckliche Katastrophe überstanden zu haben.
    Allein das kleine Mädchen, das auf den Tempelstufen saß, und das Ungeheuer, das zu ihren Füßen lag, ließ ihnen den Atem stocken!
     
    »Wie wäre es jetzt mit einer Pause?«, fragte der alte Mann schelmisch. Sein Publikum stöhnte auf und protestierte lautstark und der Wirt drohte sogar damit, ihn nicht mehr zu bedienen.
    »Es scheint, als wäret Ihr überstimmt«, stellte Lamar fest. Der alte Mann sah sich lächelnd um. »Nun, wenn ich dergestalt genötigt werde, habe ich wohl keine andere Wahl«, meinte er dann.
    »Du willst doch weitererzählen, Großvater«, rief Saana. »Also erzähl weiter!«
    »Er will sich nur ein wenig bitten lassen«, stellte ihre Mutter lächelnd fest und lachte leise, als der alte Mann sie vorwurfsvoll ansah.
    »Was hat Elyra dann getan?«, fragte Saana ganz aufgeregt. »War sie erschrocken?«
    »Erschrocken?«, meinte der alte Mann und kratzte sich am Hinterkopf.

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