Das Erbe des Loewen
umhereilten. Das mit Lehm beworfene Flechtwerk hielt die Hütten aufrecht, die enge Gasse dazwischen war düster in der frühen Abenddämmerung.
„Da ist ein Trupp, der entlang jenes Seitenpasses reitet“, zischte Kerr.
Henry blinzelte, hielt sein Ross an, als er die Kavalkade entdeckte, die den Weg entlangkam, der mit dem ihren zusammentraf. Der Reiterzug war eine halbe Meile entfernt und konnte etwa dreißig Mann zählen. Die glänzenden Helme und die blitzenden Rüstungen schürten seine Angst aufs Neue. „Was, wenn MacLellan nach Verstärkung sandte?“ wollte Henry wissen.
„Er hat mit niemandem eine Allianz.“
„Trotzdem ...“ Henry war besorgt.
„Wenn sie MacLellan zu Hilfe kämen, dann wären die meisten von ihnen zu dem Pass geritten, statt einen Spähtrupp auszusenden.“
„Das ist anzunehmen, doch ...“ Henrys Einwand blieb ihm in der Kehle stecken, als die dreißig Mann plötzlich anhielten und Kerr unvermittelt hinter einer großen Eiche sein Pferd zügelte. Er blickte um den Stamm herum, und Henry sah durch einen Blätterwald hindurch auf die Reiter. Ein kleiner Mann in einem ledernen Plattenpanzer und mit einem schottischen Rundhelm schien mit einem großen Ritter, der in glänzender Rüstung steckte, zu streiten. „Was geht dort vor?“ fragte Henry, gerade als der Bursche seinen Helm abnahm und dichtes rotes Haar offenbarte.
„Es muss doch Verstärkung sein“, sagte Kerr. „Der Bursche ist, wie man seinem Haar ansieht, ein MacLellan, und jene Ritter tragen französische Rüstungen.“
Henry fluchte. „Vielleicht hörte König Robert, was ich vorhabe, und versammelte die Clans.“
„Der König wird von den meisten verachtet und von den anderen verspottet. Er könnte nicht einmal eine Fahne hissen, noch viel weniger ein Heer aufstellen.“
„Ja. Du hast Recht.“ Henry hatte darauf gezählt, dass es dem König schwer fallen sollte, jemanden für seine Sache zu gewinnen.
„Das sind Söldner“, fügte Kerr hinzu.
Henry blickte den Trupp an, der seine Hoffnungen auf den Thron schmälerte. Der rothaarige Bursche wies zu den Bergen hin. Wie Riesen verbargen sie jeden Einblick auf einen geheimen Zugang zu Edin Valley. Was mochte der Bursche gerade erklären? Plötzlich nickte der Ritter und rief einen Befehl, der die gesamte Truppe die Pferde wenden ließ. „Wohin, in aller Welt, wollen sie?“ fragte Henry, als der Reiterzug in dem dunklen Wald am Fuße der Berge verschwand.
Kerr fluchte. „Ich hätte zuvor daran denken sollen. Der Bursche führt sie durch den Geheimgang nach Edin.“ Er ließ sein Pferd dieselbe Richtung einschlagen, die der Trupp nahm. „Und wir werden dicht hinter ihnen sein.“
Kieran und Laurel genossen jene zwei Stunden doppelt. Sie tobten sich in der Sonne aus und erforschten ihre neue Leidenschaft, die sie gegenseitig in sich entfachten. Als die Sonne nicht mehr durchs Fenster schien, wurde die Luft kühl. Oder ist es der Gedanke daran, dass dieses schöne Zwischenspiel endet? fragte sich Kieran, als er sich widerstrebend für den Ritt zurück nach Edin ankleidete.
„Ich habe dir noch nicht den Geheimgang gezeigt“, sagte Laurel.
Über die enge Wendeltreppe führte sie Kieran durch die schmale Küche ins Erdgeschoss der Burg. Laurel nahm einen Feuerstein vom Kaminsims und entzündete eine der Fackeln, die in der Ecke lagen.
„Kommst du oft hierher?“ fragte Kieran.
„Ja.“ Stolz erhellte ihre Augen. „Als meine Mutter von der Pest befallen auf dem Sterbebett lag, versprach ich ihr, ihr Erbe sorgsam zu behüten. Großvater musste die Burg schließen, doch ich habe dafür gesorgt, dass sie ordentlich und in gutem Zustand bleibt. Bereit, die nächste Generation meiner Familie aufzunehmen. Unsere Familie.“ Ihr vertrauensvolles Lächeln rührte ihn tief in der Seele.
„Ja.“ Kieran räusperte sich und blickte weg.
Er ist sich also seiner Gefühle für mich noch immer nicht sicher, dachte Laurel. Doch der Nachmittag ihrer Liebesvereinigung hatte sie einander näher gebracht. Bald würde er zugeben müssen, dass er sie liebte wie sie ihn. Dieser glückliche Gedanke gab ihr Auftrieb, und sie führte ihn aus der Küche.
„Das ist der alte Kuhstall“, erklärte sie, als sie den nächsten Raum betraten. Er war lang, niedrig und roch noch schwach nach seinen früheren Bewohnern. „Als meine Vorfahren wohlhabender wurden, haben sie die Tiere in einen neuen Stall in den Außenhof gebracht und diesen Bereich als Lager verwendet“, fuhr sie
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