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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Neuigkeiten, Hugo. Wirklich.«
    Auf der Rückfahrt nach Swanton Lacy bekam sie heftige Kopfschmerzen, und ihr Herz fühlte sich an wie in Verzweiflung erstarrt. Sie kurbelte das Fenster des Wagens herunter und kämpfte gegen die Erschöpfung. Die Realität blickte ihr gnadenlos und unabänderlich ins Gesicht. Sie würde Hugo Longville nie wiedersehen. Ihre Gefühle für ihn würden niemals erwidert werden. Sie waren, dachte sie hart, ein Ausdruck ihrer eigenen Illusionen und ihres Scheiterns gewesen.
    Sie hatte sich in Hugo Longville verliebt, nur weil er freundlich zu ihr gewesen war. So ausgehungert nach menschlicher Wärme und Liebe war sie, daß sie ihre Liebe einem Mann nachgetragen hatte, dem sie nie etwas bedeutet hatte. Morwenna Longville hatte sie in ihren Tagträumen der Bequemlichkeit halber einfach ausgeklammert, obwohl sie immer gewußt hatte, daß Hugo glücklich verheiratet war.
    Sie fragte sich, ob die Freundlichkeit, die Herzlichkeit und Fürsorge, die sie so betört hatten, eine Folge von Hugos Liebe zu Morwenna waren; ob er – umgeben von soviel Liebe – großzügiger damit umgehen konnte; ob alle Menschen, die wirklich geliebt wurden, es sich leisten konnten, mit ihrer Liebe großzügiger zu sein. Der Gedanke deprimierte sie: War sie, die ohne Eltern aufgewachsen war und der das Glück eigener Kinder versagt geblieben war, nicht fähig zu lieben und zu geben? Sah man ihr die innere Einsamkeit im Gesicht an? War sie aus ihren Worten und Gesten zu lesen? Vielleicht, dachte sie niedergeschlagen, war Hugo Longville nicht freundlich zu ihr gewesen, weil er sie gemocht hatte, sondern weil sie ihm leid getan hatte.
    In Swanton Lacy angekommen, mußte sie einen Moment im Wagen sitzen bleiben, um die Beherrschung wiederzugewinnen, bevor sie ins Haus gehen und Osborne gegenübertreten konnte.
    Eines Abends, nach einem Hochzeitsempfang, den das Trelawney-Hotel ausgerichtet hatte, fand Romy Mrs. Plummer, von heruntergefallenen Papieren umgeben, schlafend an ihrem Schreibtisch. Die Blässe ihres Gesichts, das beinahe durchsichtig schien, beunruhigte Romy. Sie goß etwas Brandy in ein kleines Glas und berührte behutsam Mrs. Plummers Arm.
    »Sie sollten sich schlafen legen, Mrs. Plummer. Sie sehen müde aus. Sie können beruhigt gehen, ich komme hier schon zurecht«, sagte sie und war im ersten Moment über ihre Kühnheit erschrocken. Doch Mrs. Plummer lächelte nur und dankte ihr.
    Auch um Jem machte sie sich Sorgen. Liz, dieses zarte kleine Ding, das gerade siebzehn Jahre alt war, war tatsächlich schwanger. In zuversichtlichen Augenblicken sagte sie sich, daß Liz und das Kind Jem vielleicht zum Mann machen, daß sie seinem Leben einen Sinn geben würden. In pessimistischeren Momenten war ihr klar, daß Armut und beengtes Zusammenleben die Liebe vernichten können; daß Liz kaum fähig schien, für sich selbst zu sorgen, geschweige denn für ein kleines Kind, und daß Jem, der selbst so sehr mit sich zu kämpfen hatte, vielleicht einfach die Ausdauer und die Kraft fehlten, in so jungen Jahren eine Frau und ein Kind zu versorgen. Sie hatte nie daran gezweifelt, daß Jem fähig war zu lieben; doch sie hatte oft gefürchtet, daß ihm das zum Leben notwendige Rüstzeug fehlte.
    Am Freitag abend lag sie auf dem Sofa in ihrer kleinen Wohnung, zu müde, um zu lesen, zu müde, um zu essen. Es war heiß im Zimmer. Sie hatte die Vorhänge zurückgezogen und die Fenster aufgemacht; hin und wieder öffnete sie die Augen und sah hinaus zum dünnen Mond am nachtblauen Himmel. Tauben raschelten auf den Schornsteinen mit den Flügeln. Durch das offene Fenster drang der hämmernde Rhythmus von »Rock Around the Clock« herein, das drüben in der Milchbar auf der anderen Straßenseite aus der Jukebox dröhnte.
    Sie war kurz vor dem Einschlafen, als sie draußen auf der Treppe stolpernde Schritte hörte. Dann wurde an ihre Tür getrommelt. Immer wieder wurde ihr Name gerufen. Als sie die Tür aufmachte, stürzte Jem beinahe ins Zimmer.
    »Ich habe ihn umgebracht«, rief er. Sein Gesicht war bleich. »Ich habe ihn umgebracht, Romy.«

10
    S IE SETZTE IHN AUFS S OFA und legte ihm eine Wolldecke um die Schultern, weil er trotz der Hitze vor Kälte zitterte. In seiner Tasche waren Zigaretten; sie zündete eine an und schob sie ihm zwischen die flatternden Finger. Sie wünschte, sie hätte Kognak da; statt dessen machte sie Tee und süßte ihn mit mehreren Teelöffeln Zucker.
    Er begann zu sprechen, während sie auf das

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