Das Erbe des Vaters
überfallen. Er fragte sich, ob es Jake auch so erging, wenn er vor einer leeren Leinwand stand. Daß man sich vorkam, als stünde man auf einem Berggipfel und hätte eine lange Straße mit zahllosen Abzweigungen vor sich. Man hoffte, man würde etwas Wunderbares schaffen, etwas, das jeden in Bann schlüge, und hatte gleichzeitig Angst, man könnte es völlig verpfuschen.
Aber er hatte kühlen Kopf behalten und sich mit den ersten Zeichnungen viel Zeit gelassen. Mr. Roland arbeitete in der City und pendelte jeden Tag zwischen Newbury und London hin und her; Mrs. Roland, eine knochige, elegante Frau, schien ihre Zeit damit zu verbringen, in farbenfrohen Strandkleidern durch Haus und Garten zu rauschen und mit großem Tempo in einem neuen Vauxhall davonzubrausen.
Das Haus des Paares, das erst vor kurzem fertig geworden war, stand auf der Höhe eines langen sanften Hanges, der sich zu einem Seitenarm des Kennet hinuntersenkte. Caleb war ziemlich schnell klar gewesen, daß diese Hanglage des Gartens sowohl Herausforderung als auch Chance war. Man würde wahrscheinlich Terrassen anlegen müssen, und der Teil unten am Bach würde schwierig trockenzulegen sein, man würde vielleicht sogar mit winterlichen Überschwemmungen rechnen müssen.
Er war das Grundstück immer wieder abgegangen und kannte bald jeden Schößling und jedes Grasbüschel; nach einer Weile brauchte er nur die Augen zu schließen, um es vor sich zu sehen, ja, er sah es selbst in seinen Träumen. Die Rolands waren bereit, ihm freie Hand zu lassen, das einzige, worauf Mrs. Roland Wert legte, war ein Springbrunnen. »Wir haben letztes Jahr in Italien einen so herrlichen Brunnen gesehen«, erzählte sie ihm. »Kleine steinerne Fische … und Nymphen … und ein Neptunstandbild.«
Im Lauf von Frühjahr und Sommer sah Caleb seine Vision langsam Gestalt annehmen. Sie mußten schweres Gerät zur Planierung des Bodens und zur Verlegung der Wasserzuleitungen für den Brunnen einsetzen. Im Geist sah er den Brunnen schon, wie er da stehen würde, wenn der Garten fertig war: die steinernen Fische und Najaden von Flechten überzogen, Seerosen auf der Wasserfläche. Nachts würde der helle alte Stein im Mondlicht glänzen.
Häufig vergaß er alles über seiner Arbeit. Der Garten war seine andere Welt, sein Traum, seine Leidenschaft. Aber er hatte natürlich auch noch eine andere Obsession. Es gibt genug andere Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen muß , hatte Romy gesagt, als er ihr seine Liebe gestanden hatte. Und er konnte verstehen, daß sie gerade jetzt so empfand.
Darum bemühte er sich, Geduld zu haben. Aber wenn er nicht mit ihr zusammen war, sehnte er sich nach ihr. Und war er bei ihr, so wünschte er sich nichts mehr, als ihre zarte, blaßgoldene Haut zu berühren und mit seiner Hand die Konturen ihres Körpers nachzuzeichnen. Doch er wußte, wenn er sie drängte, wenn er von ihr verlangte, was sie noch nicht zu geben bereit war, würde er sie verlieren. Und da war selbst die Qual des Wartens besser.
Am Sonntag vor Prozeßbeginn zeigte er Romy den Garten, den er geschaffen hatte. Sandy, der Hund, rannte voraus, als sie am Bachufer entlanggingen. Schilf und hohe Binsen standen am Wasser, und ein Eisvogel, irisierender Glanz in Blaugrün und Orangebraun, flog dem Bachlauf folgend an ihnen vorüber. Bäume – Weiden, Ebereschen, Silberbirken – bildeten auf der anderen Seite des Gartens einen lichten Hain, der sich den Hang hinauf zum Haus zog. Als sie aus London abgefahren waren, hatte es geregnet, doch jetzt war es trocken und begann drückend warm zu werden.
Calebs Blick ruhte auf Romy, die vor ihm her zur obersten Terrasse ging. Sie trug Jeans und eine Baumwollbluse und übergroße Gummistiefel, die sie sich wegen des Matschs auf dem Grundstück, auf dem noch gearbeitet wurde, ausgeliehen hatte. Sie war schön. Du mußt warten, Caleb , hatte sie gesagt. Er hatte verstanden, daß sie damit bis nach dem Prozeß gemeint hatte. Und dann? Sie hatte ihm nichts versprochen, ihm nicht den kleinsten Fingerzeig gegeben, ob sie mehr für ihn empfand als Freundschaft. Er hatte nur die Erinnerung an den Kuß in dem kleinen Café. Sie hatte seinen Kuß erwidert, und er hatte ein Feuer in ihr gespürt, das ihm Hoffnung gab.
Er riß sich aus seinen Gedanken. Sie spähte durch die Fenster, blickte in die grünen Tiefen des Schwimmbeckens.
»Hast du Hunger?« rief er, und sie nickte.
»Wie wär’s mit Schinkenbroten?«
»Wunderbar!«
»Gut, dann mach
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