Das Erbe des Vaters
Gespenster gespielt haben und Mam böse geworden ist, weil wir ihre Leintücher ganz dreckig gemacht haben?«
»Und als mir damals mein Stiefel in den Brunnen gefallen ist.«
»Und die Schiffchen, die wir gebaut haben.«
»Du hast mir weisgemacht, der Holzklotz im Weiher wäre ein Krokodil, und ich hab mich wahnsinnig gefürchtet.«
Sie schwiegen, von Erinnerungen überwältigt. Dann sagte Jem: »Die Arbeit war scheußlich, Romy. Im Sägewerk. Dieser Krach – ich konnte ihn nicht ertragen.«
»Du wirst schon was anderes finden«, sagte sie tröstend. »Was besseres.«
»Klar. Bloß –«
»Was?«
»Ich bin pleite.«
Sie hatte ihre Geldbörse in der Manteltasche. Sie gab ihm einen Zehn-Shilling-Schein. Er stand auf und hielt ihr die Hand hin. »Komm.«
»Wohin willst du?«
»Das wirst du schon sehen.«
Sie gingen in die Kirche hinein. Jem öffnete die kleine Holztür zum Turm, und Romy folgte ihm die schmale, gewundene Steintreppe hinauf. Die Glockenseile knarrten im Wind, und in dem hohen, leeren Gehäuse hallte das feinste Geräusch wider.
»Schau«, sagte er.
Er war vor einem Fenster, so schmal wie eine Schießscharte, stehengeblieben. Sie sah hinaus. Wälder, Felder und Häuser lagen wie verzaubert im Mondschein. Die Straße, ein schmales, silbrig schimmerndes Band, zog den Blick weit über die engen Grenzen von Stratton hinaus in unbekannte Fernen. Wo alles anders war, dachte Romy, und besser.
3
D AS H AUS DER F AMILIE D AUBENY , Swanton Lacy, lag einige Kilometer von den Dörfern Swanton St. Michael und Swanton Le Marsh entfernt. Caleb hatte das Haus immer ziemlich düster und häßlich gefunden und Mr. und Mrs. Daubeny nie um die vielen Zimmer und die holzgetäfelten Wände beneidet. Swanton Lacy war einst berühmt gewesen wegen seines Parks, der gut ein Jahrhundert vor dem spätviktorianischen Haus entstanden war. Sein Architekt hatte die Nähe des Flusses genutzt, um über Kanäle und Rohre Wasser abzuleiten und mit Hilfe von Dämmen und Wehren einen künstlichen See zu schaffen. Dahinter stieg eine Parklandschaft mit uralten Eichen und Buchen zum Hügelkamm hinauf. Vor dem Krieg, vermutete Caleb, war der Park sicher eine Pracht gewesen.
Jetzt jedoch, acht Jahre nach Kriegsende, lag über Swanton Lacy immer noch ein Schatten der Verwahrlosung, der Entweihung beinahe. Von Anfang 1943 an war das Gelände von der Armee als Lastwagendepot benutzt worden. Obwohl die Baracken längst abgerissen waren, konnte man, kaum verborgen durch die dünne Decke aus Gras und Unkraut, immer noch die rechteckigen Betonfundamente sehen, voller Risse und Löcher, in denen sich das Wasser sammelte. Schwere Militärfahrzeuge hatten tiefe Furchten in glatte Rasenflächen gegraben, das Grasland aufgerissen, junge Bäumchen geknickt, Gebüsch und Blumenbeete flachgewalzt. Mauern und Brücklein waren beschädigt oder sogar eingerissen, und schmiedeeiserne Tore und Geländer zum Gebrauch als Kriegsmaterial eingeschmolzen und nie ersetzt worden. Der See und die Schwäne, die auf seinem glasklaren Wasser schwammen, schienen eine letzte Erinnerung an einstige Vollkommenheit zu sein.
Caleb ging um das Haus herum nach hinten und klopfte an eine Tür. Eine unmäßig dicke Frau in einer Schürze machte auf, warf ihm einen kurzen Blick zu, krauste die Nase und erlaubte ihm, durch die Küche ins Haus zu kommen. Mrs. Daubenys neueste Köchin, vermutete Caleb. Durch ein Gewirr von hohen, dunkelgetäfelten Gängen und Korridoren, das den Personaltrakt von den Räumen trennte, in denen die Familie lebte, gelangte er ins Vestibül.
Dort traf er auf Mr. Daubeny. Osborne Daubeny war ein hochgewachsener, kräftiger Mann Mitte Fünfzig. Caleb wünschte ihm höflich guten Morgen und erklärte, er bringe den Pachtzins. Mr. Daubeny ging ihm voraus in sein Arbeitszimmer. Der große Raum wirkte düster durch die Täfelung an den Wänden und die Gitterfenster mit den kleinen Scheiben. Groteske Steinfiguren sprangen aus den Deckengesimsen hervor; der Schreibtisch war mit Büchern und Papieren beladen. Auf einem Beistelltisch lag ein aufgerollter Plan, dessen abgegriffene Ecke von Briefbeschwerern festgehalten wurde.
Caleb legte die fünf Pfund von seiner Mutter auf den Tisch, und Mr. Daubeny trug die Zahlung in sein Pachtbuch ein. Er wollte gerade wieder gehen, als Mr. Daubeny fragte: »Sind Sie mit dem Militärdienst fertig, Caleb?«
»Ja, Mr. Daubeny.«
»Und was haben Sie jetzt vor?«
»Ich weiß noch nicht,
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