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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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hatte er sie nicht mit so einem Blick angesehen. Sie hatte sich geirrt.
    Langsam wurde sie wieder lockerer, sorgloser. Eines Abends war sie hinten im Garten und nahm die Wäsche von der Leine, als plötzlich die Tür des Geräteschuppens aufflog und Dennis herauskam. Er trat zu ihr und sagte, er könne sein blaues Hemd nicht finden. »Es ist im Korb«, sagte sie ungeduldig. »Ich hab’s gerade abgenommen.« Aber er schaute nicht im Korb nach, sondern blieb stocksteif neben ihr stehen, so dumm und unnütz wie immer. Gereizt bückte sie sich und kramte selbst in den Hemden und Kissenbezügen. Und spürte seine streichelnde Hand auf ihrem Gesäß. Diesmal war kein Irrtum möglich. Die Berührung war eindeutig. Sie tat nichts, sagte kein Wort, darüber schämte sie sich hinterher am meisten; sie erstarrte nur, konnte nicht glauben, was da geschah. Hinter dem Perlenvorhang an der Hintertür konnte sie ihre Mutter erkennen, die in der Küche umherging. Von oben hörte sie Carols und Ronnies Stimmen, die wieder einmal miteinander stritten.
    Dann schaute ihre Mutter zur Hintertür heraus und rief, es sei Zeit zum Abendessen, und Dennis ging weg. Ging ins Haus und ließ Romy im dunkler werdenden Garten zurück, als wäre nichts geschehen. Mit den zusammengeknüllten Hemden im Arm stand sie da, von eiskalter Furcht ergriffen und wieder mit dem Gefühl, in einer verkehrten Welt zu sein.
    Caleb hatte bei einer Speditionsfirma namens Broadbent am Ortsrand von Newbury angefangen. Er saß mit fünf anderen jungen Männern zusammen in einem engen Raum. Das Büro hatte seine eigene Hackordnung, Loman war der Obergockel, Pickering – bebrillt, pickelig und linkisch – ganz unten. Loman war groß, sah gut aus und hatte einen muskulösen Körper. Er war außerdem faul, inkompetent und einer, der gern andere schikanierte. Caleb kannte den Typ; in jedem Internat, in jeder Militärkaserne gab es einen Loman. Das Stolzieren, der ständige Drang, die eigene Macht zu demonstrieren, die Lust daran, Schwächere aufs Korn zu nehmen und zu quälen – Caleb hatte es oft genug gesehen. Loman hatte einen treuen Spießgesellen: Cottle. Cottle war Lomans dickerer, weniger gutaussehender und weniger charismatischer Schatten; hätte er sich nicht zum Handlanger hergegeben, hätte er leicht Lomans Opfer sein können.
    So aber bot sich Pickering als Ziel für Lomans Gemeinheit an. Pickering fehlte alles, was es ihm ermöglicht hätte, sich gegen Loman zu wehren. Seine Stimme wurde schrill, wenn er gegen Lomans Hänseleien und boshafte Streiche protestierte, und er flatterte mit seinen langen Gliedern wie ein aufgescheuchtes Huhn, wenn er ungeschickt versuchte, ausgeschütteten Müll wieder in den Papierkorb zu befördern oder die Tinte aufzuwischen, die Loman auf seinem Schreibtisch vergossen hatte. Calebs Bemühungen, Pickering in ein Gespräch zu ziehen, stießen auf einsilbige Antworten und ausweichende Blicke. Natürlich wäre es Caleb niemals eingefallen, den Arbeitskollegen zu schikanieren, wie Loman das tat, aber er fand sein Unvermögen, für sich selbst einzustehen, erbärmlich, und seine Winselstimme ging ihm auf die Nerven.
    Die anderen beiden Kollegen, Goddard und McAulay, waren ganz sympathisch. Sie hielten sich wie Caleb im neutralen Mittelfeld, weder Lomans Kumpane noch seine Opfer. Sie machten sein Spiel nicht mit, aber sie unternahmen auch nichts dagegen. Zwischen Caleb und dem rotblonden Goddard mit dem Kaninchengesicht spann sich eine lockere Freundschaft an. Als sie eines Abends nach der Arbeit bei einem Bier zusammensaßen, sagte Goddard: »Loman ist ein Widerling, aber er ist wenigstens amüsant. Pickering ist nur ein stinklangweiliger Winsler.« So konnte man es sehen, dachte Caleb bei sich. Vor die Wahl gestellt, verbrächte man mit Loman zweifellos einen unterhaltsameren Abend im Pub als mit Pickering.
    Die sechs jungen Männer waren Mr. Stricklands Aufsicht unterstellt, die sich allerdings auf ein Mindestmaß beschränkte. »Der sitzt doch nur noch seine Zeit ab«, erklärte Goddard. »Zählt die Tage, bis er seine goldene Uhr kriegt.« Strickland sollte im folgenden Jahr in den Ruhestand gehen. Und das war keinen Tag zu früh, vermutete Caleb. Wenn Strickland einen seiner seltenen Besuche bei seinen Schützlingen machte, mußte er eine steile Treppe erklimmen und kam stets leichenblaß und keuchend oben an. »Du meine Güte«, flüsterte Goddard Caleb eines Tages zu, »hoffentlich kratzt uns der arme Hund nicht hier oben

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