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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Vordermann bringen«, sagte Osborne, und sie dachte, während sie ihr Fleisch schnitt und es zusammen mit Kartoffeln und Gemüse ziellos auf dem Teller herumschob, daß es so nicht gewesen war, ganz und gar nicht.
    »Sie waren verlaust und verkrätzt und hatten so ziemlich jede schlechte Angewohnheit, die man sich nur vorstellen kann. Und nach vierzehn Tagen sind sie mit einem Sack voller Sachen aus unserem Haus abgehauen. Zurück nach London.« Osborne holte wie stets zum Gnadenstoß aus. »Ich sage immer, Evelyns Gutherzigkeit hat mich die jakobinische Schöpfkelle von Swanton Lacy gekostet.«
    Sie brachte keinen Bissen hinunter. Die Nerven wahrscheinlich. Obwohl es sich mehr wie Wut anfühlte. Stumm starrte sie auf ihren Teller hinunter, die Hände zu Fäusten geballt.
    »Anne ist genauso«, sagte James Radcliffe. »Wir haben immer noch unser altes Kindermädchen, obwohl Biddy inzwischen elf Jahre alt ist. Sie war schon bei Annes Eltern angestellt, und Anne bringt es nicht über sich, sie zu entlassen, nicht wahr, Darling?«
    »Unsere Dienstboten sind entweder Krüppel oder Kriminelle«, bemerkte Osborne. »Wie hieß die letzte Köchin, Evelyn?«
    Sie murmelte: »Mrs. Vellacott.«
    »Sah aus wie eine Hexe. Nicht mal die Warzen haben gefehlt.«
    »Osborne!«
    »Du kannst es mir glauben, Josephine. Ich war immer darauf gefaßt, daß sie sich nachts auf ihren Besen schwingen und davonreiten würde.«
    Anne Radcliffe kicherte. »Es ist ja wirklich fast unmöglich, heutzutage gute Hausangestellte zu finden.«
    »Es war von Anfang an klar, daß sie nicht geeignet war, und natürlich mußten wir sie schließlich entlassen. Wenigstens hat sie uns nicht alle in Mäuse verhext.«
    »Es war überhaupt nicht komisch«, sagte Evelyn. »Es war furchtbar. Sie war wütend.« Ihre Stimme zitterte. Sie wurde sich bewußt, daß alle sie anstarrten. »Entschuldigt mich«, flüsterte sie und lief aus dem Zimmer, weil sie wußte, daß sie gleich zu weinen anfangen würde.
    In der unteren Toilette schneuzte sie sich die Nase und wischte sich die Augen trocken. Denn ganzen Abend hatte sie versucht, sich den peinlichen Auftritt in der Küche aus dem Kopf zu schlagen, aber jetzt gelang es ihr nicht mehr. Mrs. Vellacott hatte sich, nachdem sie praktisch auf frischer Tat ertappt worden war, nicht einmal geschämt. Ganz im Gegenteil: Sie war aggressiv und beleidigend geworden. Ihre Unverschämtheit hatte Evelyn die Sprache geraubt, und Mrs. Vellacott hatte die Oberhand behalten, obwohl Evelyn genau wußte, daß sie selbst im Recht war. Während sie jetzt tief Luft holte und ihr Gesicht mit kaltem Wasser erfrischte, fragte sie sich, warum sie sich Mrs. Vellacotts frechen Beschimpfungen unterworfen hatte, anstatt für sich einzustehen.
    Aber sie war ja auch nicht für sich eingestanden, als Osborne eben den Longvilles von den verschickten Kindern erzählt hatte. Warum war sie ihm nicht, wie sie das am liebsten getan hätte, ins Wort gefallen und hatte gesagt: So war es überhaupt nicht. Diese kleinen Jungen waren einfach völlig verloren, sie waren einsam und durcheinander und hatten keine Ahnung, wie man sich in einem Haus wie unserem richtig benimmt. Und wenigstens war ein bißchen Leben im Haus, solange sie da waren. Und es war nicht so entsetzlich still und tot.
    Sie senkte die Hände und sah im Spiegel ihr hübsches, aber gänzlich durchschnittliches Gesicht, umrahmt von blondem Haar, das im Küchendampf schlaff und strähnig geworden war. Ihr Blick blieb an den grauen Fäden hängen, die sich im Aschblond zu zeigen begannen, und an den feinen Linien, die fächerartig von ihren Augenwinkeln ausstrahlten. Hatte sie Angst gehabt vor Mrs. Vellacott? Hatte sie sich von ihr einschüchtern lassen und gekuscht? Oder hatte sie Angst vor sich selbst – vor der Wut, die gleich unter der Oberfläche brodelte und die sie vielleicht nicht würde kontrollieren können, wenn sie sie einmal herausließ?
    Es klopfte. Josephine Maxey rief: »Alles in Ordnung, Evelyn?«
    »Alles in Ordnung.« Evelyn sperrte die Tür auf. »Ich bin bloß ein bißchen kaputt. Ich bekomme meine Tage.«
    Es war wahr. Die Krämpfe hatten begonnen, als sie nach Mrs. Vellacotts Entlassung aus der Küche geflohen war. Als hätte Osborne recht und Mrs. Vellacott wäre eine Hexe, die sie mit dem bösen Blick belegt hatte.

5
    D AS T RELAWNEY -H OTEL HATTE DREISSIG Z IMMER , und Romy war für zehn davon zuständig. Die beiden anderen Zimmermädchen, Olive und Teresa, hielten

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