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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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eine gesichtlose Zukunft, an eine Vergangenheit geknüpft, die nicht so war, wie er geglaubt hatte.
    Während er an die Stallwand gelehnt dastand und seinen Gedanken nachhing, sah er seine Mutter aus dem Haus kommen. Sie stellte eine Tasse auf die Vortreppe und ging wieder hinein. Nach einer Weile ging er hin und trank den Tee. Danach streifte er durch den Garten, warf die Schnecken hinaus, band Rosen und Clematis höher, rupfte Löwenzahn und Winden aus. Er hatte sich die letzten Monate treiben lassen, aber das würde anders werden, schwor er sich. Er würde genau darüber nachdenken, was er wirklich wollte, und wenn er Klarheit hatte, würde er es tun, verdammt noch mal!
    Romy bügelte ihr Kleid und gab sich mit ihrem Haar besondere Mühe, bevor sie am Sonntag morgen zu Mrs. Plummer ins Büro ging. Lippenstift und ein Hauch Rouge verbargen die Spuren einer schlaflosen Nacht.
    Die Fenstertür in Mrs. Plummers Büro war weit geöffnet. Mrs. Plummer stand auf der sonnenhellen Terrasse. »Ein herrlicher Tag, nicht wahr?«, sagte sie, als Romy ins Zimmer trat. »Kommen Sie, wir setzen uns hinaus.«
    Draußen standen ein kleiner schmiedeeiserner Tisch und zwei Stühle. An der Wand rankte sich eine Kletterrose empor. Nirgends wird es je wieder so schön sein, dachte Romy. Nirgends wird es je wieder so wie hier sein.
    Mrs. Plummer sagte: »Macht Ihnen die Arbeit im Trelawney eigentlich Spaß, Romy?«
    »O ja.«
    »Aber jetzt, wo Ihr Bruder zurückgekommen ist, werden Sie wohl mit ihm zusammenziehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Jem ist einberufen worden«, erklärte sie. »Er muß für die nächsten zwei Jahre zum Militär.«
    Mrs. Plummer runzelte die Stirn. »Und was haben Sie jetzt vor?«
    »Ich weiß es noch nicht genau.« Sie nahm sich zusammen. »Mir wird schon was einfallen.«
    »Werden Sie denn in London bleiben?«
    »Das würde ich gern, ja. Vielleicht finde ich Arbeit in einem anderen Hotel. Das wäre mir das liebste.«
    »Nun, wenn das so ist – könnten Sie sich vorstellen, hierzubleiben?«
    Romys Herz setzte einen Schlag aus. »Im Trelawney?«
    »Ja. Mit einem etwas anderen Aufgabengebiet als bisher.«
    Romy sagte schnell: »Ich mache alles. Putzen … in der Küche … es ist mir gleich.«
    »Ich überlege schon seit geraumer Zeit, mir eine Assistentin zu nehmen. Ich brauche jemanden, der mir bei den täglich anfallenden Verwaltungsarbeiten hilft, der Briefe schreibt, Besorgungen macht, mir die Routinearbeit abnimmt. Ich habe Sie beobachtet, Romy, und ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit. Sie sind eine tüchtige junge Frau. Was meinen Sie – möchten Sie für mich arbeiten?«
    »Ich?« Sie starrte Mrs. Plummer entgeistert an.
    »Ja, warum nicht? Sie müßten ab und zu auch mit mir reisen. Wäre das ein Problem?«
    »Reisen …« Das Schicksal hatte sich plötzlich auf wunderbare Weise gewendet und öffnete ihr die ganze Welt.
    »Ich bin immer gern in Paris. Und in Südfrankreich, wegen meiner Gesundheit. Also, Romy, was sagen Sie?«
    »Ja«, antwortete sie. »O ja.«
    Romy saß auf der Bank im kleinen Park. Sie dachte: Ich werde nie wieder einsam oder unglücklich sein. Sie hatte ein Zuhause gefunden und eine Aufgabe. Sie hatte die Vergangenheit abgeschüttelt und war im Begriff, einen neuen Anfang zu machen, einen besseren.
    Es schien, als hätte der Herbst gerade seinen ersten Hauch über die Bäume gelegt: Das Laub leuchtete goldgelb vor dem Blau des Himmels. Sie sah den kleinen Park, von den vorüberziehenden Jahreszeiten in wechselnde Farben getaucht. Der Winter würde die kahlen Äste mit Reif versilbern, der Frühling sie mit zartgrünen Knospen schmücken. Und sie würde hiersein und jeden Übergang miterleben, jede kleinste Veränderung.
    Niemand konnte ihr das wegnehmen. Es gehörte ihr, dank harter Arbeit und einem freundlichen Schicksal. Es gehörte ihr zu Recht.
    Auf einmal tat es ihr leid, daß sie Caleb Hesketh gegenüber so abweisend und feindselig gewesen war. Es gab so viele Fragen, die sie ihm hätte stellen sollen. Sie hätte gern gewußt, wieso er mit Annie Paynter gesprochen und was Annie zu ihm gesagt hatte. Und sie hätte gern gewußt, was dieser Mr. Daubeny für ein Mensch war – zweifellos grausam, wenn er es fertiggebracht hatte, einer Familie das Zuhause zu nehmen, nur um für seine Geliebte zu sorgen.
    Osborne Daubeny. Seltsam, nach so langer Zeit endlich den Namen zu wissen. Den Namen des Mannes, der für den Tod ihres Vaters und die Not ihrer Familie

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