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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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im Trelawney ab, die zu einem Theaterbesuch oder anderen Vergnügungen in die Stadt gekommen waren. So ging das bis Weihnachten, wenn der Portier und die Pagen im Foyer den Baum aufstellten. Der Weihnachtsbaum war immer groß und ausladend. Auf seiner Spitze saß ein glitzernder Stern, der beinahe die Zimmerdecke berührte. Mrs. Plummer schmückte den Baum stets selbst mit roten Kerzen in goldenen Haltern und bemalten Holzengeln, die sie vor dem Krieg in Österreich gekauft hatte. Als Romy den Baum das erste Mal sah, mußte sie weinen und schämte sich. Rasch lief sie in ihr kleines Büro und schneuzte sich energisch. So, dachte sie, als sie am Abend in ihre kleine Apartmentwohnung in Belsize Park fuhr, mußten Weihnachtsbäume aussehen. Warum man deswegen allerdings gleich in Tränen ausbrechen mußte, war ihr schleierhaft.
    Ihre Wohnung war ihre Zuflucht, ihre kleine Trutzburg. Trotz einiger Nachteile – sie war klein und ziemlich dunkel und zudem unbequem weit vom Hotel entfernt, was eine lange Fahrt mit Umsteigen nötig machte – liebte Romy sie. Sie gehörte ihr, ihr ganz allein, das erste Zuhause, das sie selbst gewählt und für sich allein hatte. Niemand konnte ihr dieses Zuhause verleiden oder wegnehmen. Sie hatte die Wohnung ausgesucht, weil es eine Eckwohnung war, die sich im obersten Stockwerk eines hohen Gebäudes befand und zwei Fenster hatte, von denen eines zum Primrose Hill hinausschaute. Im Zimmer stand ein Bett, das sie tagsüber mit einer farbigen Überdecke und ein paar Kissen in ein Sofa verwandelte. Das Dekor war ziemlich trist, die Wände waren dunkelbraun gestrichen, das Linoleum war mausgrau. Man komme sich vor wie im Gästeklo beim Herrn Pfarrer, sagte Jake taktlos, bevor er ihr einen Stapel mit selbstsicherem Strich ausgeführter Skizzen und übermütiger Karikaturen von Tänzerinnen und Bardamen schenkte, die sie an die Wände pinnte.
    Jake Malephant war in den vergangenen eineinhalb Jahren ihr Freund und Mentor geworden, ein Führer auf den unbekannten und häufig verwirrenden Wegen von Soho. Zu Beginn ihrer Freundschaft hatte er einen halbherzigen Verführungsversuch gemacht, den sie abgewehrt hatte. Er hatte das gelassener hingenommen als ihr Nein auf seine Bitte, sie malen zu dürfen. Sie hätte nicht sagen können, warum es ihr widerstrebte, sich von Jake oder auch einem der anderen verlotterten Künstler, denen sie in Soho begegnete, malen zu lassen.
    »Das ist ausgesprochen primitiv von dir, Romy«, erklärte Jake verärgert. »Manchmal glaube ich, du hast Angst, ich könnte dir deine Seele stehlen.« So war es natürlich nicht. Eher war es so, daß es Bereiche ihrer Seele gab, die sie niemanden sehen lassen wollte. Sich auszuziehen und sich Jake hinzugeben wäre leicht gewesen im Vergleich dazu.
    Statt dessen hatte ihre Beziehung sich zu guter Kameradschaft entwickelt. Sie redeten und tranken zusammen, wenn nötig, munterte einer den anderen auf, und ab und zu kochten sie füreinander. Jake war ein unverbesserliches Klatschmaul, hoffnungslos indiskret, und brauchte immer ein Publikum, das die Geheimnisse, die er ausplauderte, gebührend zu würdigen wußte. Er war fürsorglich, ohne es mit der Fürsorge zu übertreiben, stellte keine Ansprüche und war durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Unter den Männern, die Romy kannte, war er der erste, der nicht unberechenbar und launisch war. Jem, Dennis, sogar ihr toter Vater – alle hatten sie eine Neigung zum Jähzorn, ja zur Gewalt. Es war ungeheuer erholsam, mit einem Mann zusammenzusein, bei dem man nicht ständig fürchten mußte, er werde gleich entweder einen Wutanfall bekommen oder in tiefste Verzweiflung stürzen.
    Neben Jake, der ein Freund blieb, gab es andere Männer in Romys Leben, die mehr – oder, dachte sie manchmal, vielleicht weniger – waren als Freunde. Mit manchen ging sie nur einmal aus, mit keinem mehr als ein halbes Dutzend mal. Die Mischung war bunt: Julian, der Photograph; Martin, der Diplomatensohn; Brian, der Seemann; Lionel, der Schauspieler; und Mario, der romantische Italiener, der ihr Blumen schenkte, wahrscheinlich – vermutete sie – in anderer Leuten Gärten gepflückt. Alle waren sie auf ihre Art nett, und alle verloren sie sehr schnell ihren Reiz. Ein oder zwei gingen auf Distanz, als sie nicht bereit war, mit ihnen ins Bett zu gehen; ein anderer machte ihr beim dritten Rendezvous einen Heiratsantrag und suchte sich, als sie ablehnte, ein anderes Jagdrevier. Einer stocherte sich im Kino, als

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