Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
»Er ist scheußlich zu ihr, Jake. Aber sie verzeiht ihm jedesmal. Ich verstehe das nicht.«
    Sie waren in Jakes Atelier. Er war damit beschäftigt, Leinwände aufzuspannen. Bei ihren Worten blickte er auf. »Du bist einfach noch zu jung«, sagte er.
    Sie war gekränkt. »Ich werde bald einundzwanzig.«
    »Eben. Viel zu jung. Du brauchst gar nicht so ein böses Gesicht zu machen. Du kannst doch nichts dafür, daß du bald einundzwanzig wirst.«
    »Aber er ist so gemein!«
    »Schau doch mal deinen Bruder an. Der könnte tun, was er will, du würdest ihm immer verzeihen, oder etwa nicht?«
    »Doch. Aber Jem ist nicht wie Johnnie.«
    »Nein, natürlich nicht. Johnnie ist ein Dreckskerl, Jem nicht. Aber wie oft hast du ihm schon aus der Patsche helfen müssen, hm? Wie oft hast du ihm ein paar Scheine zugesteckt, damit er über die Runden kommt? Wie oft ist er bei dir aufgekreuzt, weil er Hilfe brauchte? Oder ist nicht gekommen, obwohl er es versprochen hatte?«
    Sie sagte ärgerlich: »Das ist was ganz anderes.«
    »Es ist nur was anderes, weil du Jem liebst und Johnnie nicht ausstehen kannst.«
    »Ich verstehe nicht, wie ein Mensch Johnnie lieben kann.«
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Nein?«
    »Er ist egoistisch – gemein – eingebildet …«
    »Und wenn er will, kann er unheimlich charmant, unterhaltsam und anregend sein. Und vergiß den Sex nicht, meine Liebe. Man kann davon ausgehen, daß Johnnie Fitzgerald sich darauf versteht, eine Frau im Bett glücklich zu machen.«
    Störrisch entgegnete sie: »Aber das kann doch nicht alles andere wiedergutmachen.«
    »Hast du schon mal einen Mann geliebt, Romy?«
    »Warte mal … erst Julian, dann Lionel … Mario …«
    Jake machte eine wegwerfende Handbewegung. »Keinen von denen hast du geliebt, Romy. Du warst nicht mal verliebt. Aber Mirabel liebt Johnnie. Sie betet ihn an. Weiß der Himmel, warum, aber es ist so. Wo die Liebe eben hinfällt, wie man so schön sagt.« Er klopfte mit einem Finger auf Holz. »Laß ihnen eine Weile Zeit, dann turteln sie bestimmt wieder umeinander herum wie die verliebten Tauben. Und das wird dir das Leben wieder ein bißchen leichter machen.«
    Im Frühjahr 1955 reisten Mrs. Plummer und Romy nach Paris. Sie stiegen im Hotel Crillon ab. Mrs. Plummer war blaß und still; nachmittags streifte Romy allein durch die schmalen Straßen und die breiten Boulevards, hingerissen von der Schönheit der Stadt. Eine Woche nach ihrer Ankunft in Paris rief Mrs. Plummer Romy in ihr Zimmer. Schon als Romy die Tür öffnete, sah sie die Rosen. Riesige Sträuße standen in Vasen auf dem Frisiertisch, dem Kaminsims, dem Schreibtisch.
    Sie verströmten einen betäubenden Duft, und ihre Blütenblätter öffneten sich über tiefdunklen blutroten Herzen.
    Mrs. Plummers Augen leuchteten, sie war beschwingt vom Glück. Sie würden gleich morgen nach England zurückkehren, erklärte sie; Romy solle Plätze im Zug bestellen. Aber bevor sie Paris verließen, müßten sie unbedingt noch einen Schönheitssalon aufsuchen.
    In einem Raum mit rosaroten Wänden und goldgerahmten Barockspiegeln ließ Romy sich die Fingernägel perlweiß lackieren und das schulterlange Haar schneiden und zu einer Kurzhaarfrisur legen, die ihr Gesicht zur Geltung brachte. Als sie in den Spiegel sah, blickte ihr eine völlig andere Person entgegen: Schick, weltstädtisch, mit einer selbstbewußten Ausstrahlung, die Romy selbst überraschte.
    Zwei Tage nach ihrer Rückkehr aus Frankreich, in einem Pub in der Dean Street, wo sie nach Jake suchte, stieß Romy im Gedränge mit einem jungen Mann zusammen, der in der einen Hand ein Buch hielt und in der anderen ein Glas. Bier schwappte auf seinen Pulli. Sie entschuldigte sich und suchte vergeblich nach einem Taschentuch, um die Spritzer abzutupfen. Er fand auf dem nächsten Tisch ein freies Eckchen, wo er das Glas und das Buch deponierte, bevor er das Bier aus der dicken schwarzen Wolle drückte.
    »Es macht nichts«, versicherte er. »Der muß sowieso gewaschen werden.«
    Er war groß und dünn und hatte lockiges blondes Haar, feingezeichnete Gesichtszüge und ein wunderbares Lächeln, das seine klaren blauen Augen, die Romy an Mrs. Plummers Aquamarinschmuck erinnerten, zum Leuchten brachte. Sie sah, daß seine Kordhose an den Knien durchgescheuert war und der schwarze Rollkragenpulli an den Ellbogen Löcher hatte.
    Leute drängten sich zwischen sie und trennten sie. Romy entdeckte Jake, der mit einer dunkelhaarigen Frau an einem Tisch saß.

Weitere Kostenlose Bücher