Das Erbe des Vaters
Stadtkern, der im Krieg zerstört worden war, wiedererrichtet wurde. Er blieb die Woche über in Bristol und kam nur an den Wochenenden nach Hause. Martha sah nicht mehr so müde aus wie früher, nicht mehr ganz so zerbrechlich. Wenn Romy nach Hause kam, brachte sie immer Geschenke mit: Nylonstrümpfe und Nagellack für Carol, Spielzeugautos und Bücher für Ronnie und Gareth. Sie wußte nicht, ob sie die Bücher lasen, aber vielleicht würde ihr bloßes Vorhandensein einen Funken des Interesses bei den beiden Kleinen entzünden.
Sie sorgte sich um Jem. Als er sie in seinem Urlaub vom Militär besuchte, fiel ihr auf, wie sehr er sich verändert hatte. Sie nahm eine Bitterkeit an ihm wahr, einen Zynismus, die ihr angst machten. In den wenigen Tagen seines Aufenthalts tat sie ihr Bestes, um ihn aufzuheitern, und nach einer Weile schimmerte tatsächlich etwas von dem Jem durch, den sie kannte, dem aufgeweckten, unberechenbaren, bezaubernden Jungen. Aber als der Tag der Abreise näher rückte, kehrten Bitterkeit und Zynismus zurück. Er hatte die letzten sechs Monate eingesperrt in einem Lager in Deutschland verbracht, in der Nähe von Hamburg. Jedes Wort seiner kurzen Briefe, die voller Rechtschreibfehler waren, verriet, wie unglücklich er war. Sie schrieb ihm zurück, sprach ihm Mut zu und versuchte, ihn zu trösten. Nur noch ein paar Monate, Jem, dann hast du es hinter Dir. Nur ein paar Monate noch, dann bist Du wieder zu Hause. Wo immer für Jem Zuhause sein mochte.
Dann war da natürlich noch das andere Problem: Johnnie Fitzgerald. Johnnie war der verwöhnte Sohn – der einzige Sohn – eines wohlhabenden Teppichfabrikanten, der gestorben war, als Johnnie noch im Schulalter gewesen war. Als 1948 auch seine Mutter starb, die ihn abgöttisch geliebt hatte, erbte Johnnie ein stattliches Vermögen von mehreren tausend Pfund, von dem, wie im Hotel getratscht wurde, bald nichts mehr dasein würde, weil er es mit vollen Händen für seine Hobbys ausgab – Spielen, Trinken, schnelle Autos. Er hatte eine Firma, die Teppiche und Kunstgegenstände aus dem Fernen Osten importierte; im Hotel hieß es, Mrs. Plummer hätte da einiges an Geld hineingesteckt. Er hatte nie geheiratet, es wurde jedoch getuschelt – wiederum im Hotel –, irgendwo in Nordengland gebe es ein uneheliches Kind.
Zu manchen Zeiten war Johnnie Aufmerksamkeit und Charme in Person, er führte Mrs. Plummer aus – ins Restaurant oder zum Pferderennen – und verbrachte die Wochenenden mit ihr in ihrem Haus am Ufer der Themse in der Nähe von Henley. Zu anderen Zeiten ließ er sich tagelang nicht blicken, und wenn er kam, gab es Streit. Romy begann ein Muster zu erkennen. Anfangs fanden nur gelegentliche Auseinandersetzungen statt. Diese wurden immer öfter, der Ton wurde schärfer, die Stimmung gereizter. Als sie eines kalten Winternachmittags an der Schreibmaschine saß, hörte sie Stimmen aus dem Nebenzimmer. Die von Johnnie quengelnd und vorwurfsvoll: »Ich kann es nicht ausstehen, wenn du ständig versuchst, mich zu kontrollieren. Ich bin kein Kind!« Und die von Mrs. Plummer, geduldig und vernünftig: »Ich versuche nicht, dich zu kontrollieren, Darling. Aber wenn ich tagelang nichts von dir hören, fange ich an, mir Sorgen zu machen. Es wäre mir entsetzlich, wenn dir etwas zustoßen würde.«
Früher oder später führten diese Streitigkeiten schließlich dazu, daß entweder Johnnie wütend aus dem Haus stürmte oder Mrs. Plummer ihn hinauswarf. In den Wochen zwangsläufigen Friedens, die seinem dramatischen Abgang folgten, pflegte er sich die Zeit mit Trinken und Frauen zu vertreiben, während Mrs. Plummer sich kompetent wie immer um ihren Hotelbetrieb kümmerte. Doch ihr bleiches, mühsam beherrschtes Gesicht verriet die Verzweiflung ebenso wie ihre rasch aufflammende Ungeduld. Irgendwann kreuzte Johnnie wieder auf, nachdem er sich zuvor mit irgendeiner großartigen Geste angekündigt hatte – mit der Lieferung einer Riesenladung Treibhausorchideen etwa oder einem Ständchen, das ein Streichquartett Mrs. Plummer abends unter ihrem Schlafzimmerfenster darbrachte –, und aller Kummer fiel von Mrs. Plummer ab. Die beiden benahmen sich wie frisch Verliebte, als könnten sie keinen Moment voneinander lassen.
Romy verstand nicht, warum Mrs. Plummer sich das alles gefallen ließ. Sie war eine reiche, elegante und unabhängige Frau, sie hätte Johnnie doch jederzeit den Laufpaß geben können.
Eines Abends sprach sie mit Jake darüber.
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