Das Erbe des Vaters
leisten?«
»Wir haben viel zu lange nichts getan. Es ist jetzt zehn Jahre her, daß die Vandalen abgezogen sind, Evelyn. Zehn Jahre!«
Als er die Briefbeschwerer entfernte, rollte sich der Plan von selbst zusammen. Er ging zum Fenster. »Komm und schau es dir an! Früher sind die Leute von überallher gekommen, um den Garten von Swanton Lacy zu bewundern. Und jetzt – schau es dir an.«
Auf dem Weg in die Küche, um das Abendessen zu machen, fiel Evelyn ein, daß Osborne sie überhaupt nicht nach Kate gefragt und sie ihm nicht von Hugo Longville und seinem abgerissenen Haus erzählt hatte. Sie hatte den Eindruck, ihre Gespräche bestünden nur noch aus irgendwelchen kategorischen Erklärungen und geblafften Befehlen von Osbornes Seite und beschwichtigendem Gemurmel von ihrer … Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie sich das letzte Mal normal unterhalten hatten. Hatte es das überhaupt zwischen ihnen gegeben? Hatten sie jemals so miteinander gesprochen, wie sie heute nachmittag mit Hugo Longville gesprochen hatte? Die Frage beunruhigte sie.
Und sie glaubte Hugos Stimme zu hören. Wir müssen uns verändern , hatte er gesagt. Sonst sterben wir aus wie die Dinosaurier .
7
E INES N ACHMITTAGS, ALS R OMY und Mrs. Plummer im Büro arbeiteten, klopfte es. Die Rezeptionistin kam ins Zimmer.
»Ja, Jacqueline?«
»Entschuldigen Sie die Störung, Mrs. Plummer, aber draußen ist ein junger Mann, der Romy sprechen möchte.«
Mrs. Plummer sagte kühl: »Dann richten Sie ihm aus, daß Romy zu tun hat.«
»Das habe ich schon getan, Mrs. Plummer. Ich habe gesagt, er soll später wiederkommen, aber er will nicht gehen.« Jacqueline wurde rot. »Ich glaube, er ist nicht ganz auf der Höhe.«
»Er ist nicht ganz auf der Höhe?« Mrs. Plummer machte ein unwilliges Gesicht. »Wollen Sie damit sagen, daß er betrunken ist, Jacqueline?«
Jacqueline nickte. Mrs. Plummers zorniger Blick richtete sich auf Romy. »Gehen Sie hinaus und erledigen Sie das. Keine Verehrer im Hotel. Sie kennen die Regeln. Wenn Sie schon mit diesem Schlag junger Leute verkehren müssen, dann beschränken Sie die Kontakte auf Ihr Privatleben, Romy.« Gereizt zündete sich Mrs. Plummer eine Zigarette an. »Das geht wirklich nicht«, sagte sie kurz angebunden.
Romy sah ihn, sobald sie aus dem Korridor ins Foyer kam. Es war natürlich nicht Tom, ihr sanfter Tom, der es sich gar nicht leisten konnte, zuviel zu trinken, selbst wenn er das gewollt hätte. Es war Jem. Sturzbetrunken lehnte er in seiner khakifarbenen Uniform am Empfangstisch und versuchte, mit einer der Angestellten anzubändeln.
Sie zerrte ihn aus dem Hotel hinaus, bugsierte ihn in ein Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse ihrer Wohnung. Sie hatte Angst, er würde ihren Hausschlüssel zwischen den Sitzpolstern verlieren oder sich im Auto übergeben und der Fahrer würde ihn hinauswerfen. Sie überlegte, ob sie Mrs. Plummer erklären sollte, daß er kein Verehrer von ihr war, sondern ihr Bruder, doch sie erkannte sogleich, wie sinnlos und wieviel beschämender das wäre.
Als sie am Abend nach Hause kam, lag Jem schlafend auf ihrem Bett. Er öffnete kurz ein Auge, grinste sie alkoholselig an und murmelte: »Eine Woche Urlaub. Ich hab ein Geschenk für dich. In meinem Kleidersack. Rotes Papier.« Dann fielen ihm die Augen wieder zu, und er begann zu schnarchen.
Sie öffnete den Kleidersack und fand das Päckchen. Unter dem roten Papier waren eine Flasche französisches Parfum und, in Watte gepackt, eine Brosche. Sie war aus winzigen Perlen gefertigt und hatte die Form eines Schwans. Die Perlen mußten unecht sein, sagte sie sich, aber ihr weicher Glanz widersprach dieser Vermutung. Voll Unbehagen starrte sie die Brosche an. Das Parfum hatte einen schwülen, betäubenden Duft.
In dieser Nacht schlief sie, in ihren Mantel eingewickelt, auf dem Fußboden. Sie wachte mit Kopfschmerzen auf und schlich auf Zehenspitzen durch das Zimmer, um Jem nicht zu wecken. Sie hatte ihm einiges zu sagen – zum Beispiel, warum er nicht geschrieben hatte, daß er nach Hause kam, und wie er es wagen konnte, in diesem Zustand im Hotel aufzukreuzen –, aber im Moment fühlte sie sich der Auseinandersetzung nicht gewachsen. Sie konnte ihre Schlüssel nicht finden; wahrscheinlich hatte er sie in der Tasche. Bevor sie zur Arbeit ging, schrieb sie ihm einen Zettel, den sie auf den Tisch legte. Er solle keinen Lärm machen, nur bei geöffneten Fenstern rauchen und um sechs zu Hause sein, weil sie keinen
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