Das Erbe des Vaters
Juli sein!«
»Aber es ist schön hier.«
Er setzte sich zu ihr. »Ich dachte, die Stadt ist dir lieber.«
»Meistens ja.«
Er küßte sie. »Vielleicht sollte ich woanders leben. Dann könnte ich vielleicht mein Buch fertigmachen. So schreibe ich immer ein Stück und zerreiße es danach, weil es nicht gut ist. Da wird es natürlich nie länger. Ich glaube, der Haken ist einfach, daß ich ein zu gewöhnlicher Mensch bin. Mein Leben war bisher zu ereignislos.«
»Geht es nicht darum, sich was auszudenken? Ich dachte, das wäre der Sinn des Schreibens.«
»Aber dazu muß man gelebt haben. Das sagt jedenfalls Magnus. Daß ich nicht genug Material habe.«
»Ach, Magnus!« sagte sie geringschätzig. Sie dachte an Psyche, wie weh ihr Magnus im Namen seiner unausgegorenen existentialistischen Philosophie immer wieder tat. »Du wirst dir doch nicht Magnus zum Vorbild nehmen wollen, Tom. Er ist so egozentrisch – so eingebildet –«
Er sah sie entsetzt an. »Das ist doch nicht dein Ernst?«
Sie erwiderte seinen Blick. »Doch, eigentlich schon«, sagte sie kalt. Sie wußte, daß sie den Mund halten, das Thema fallenlassen sollte, trotzdem fuhr sie zu sprechen fort. »Schau dir doch bloß mal an, wie er Psyche behandelt. Wie ein Dienstmädchen.«
»Magnus zwingt Psyche zu nichts. Was sie tut, das tut sie, weil sie es will. Es macht ihr Freude, ihn zu umsorgen. Manche Frauen sorgen gern für ihre Männer. Da ist doch nichts dabei.«
»Warum heiratet er sie dann nicht? Dann brauchte sie wenigstens nicht mehr in diesen gräßlichen Lokalen zu tanzen.«
»Magnus hält nichts von der Ehe«, erklärte Tom ernsthaft. »In seinen Augen ist sie eine bürgerliche Institution.«
»Magnus«, versetzte Romy aufgebracht, »hält nur von den Dingen was, die für ihn von Vorteil sind.«
»Das ist nicht wahr«, protestierte Tom. »Wenn ich denke, wie sehr er sich um mich gekümmert hat, als ich neu nach London kam. Er hat mich überall mit hingenommen – er hat mir bei der Suche nach einer Wohnung geholfen –«
»Ja, weil es ihm gefällt, daß du ihn bewunderst. Und ihm hinterherrennst.«
Ihre Stimme schnitt kalt und unversöhnlich in das sanfte Murmeln des Meeres. Sie hörte, wie er nach Luft schnappte, und als die Stille zu lang wurde, drehte sie den Kopf, um ihn anzusehen.
»Tom.« Sie bemerkte seinen verletzten Blick. Das gleiche Gefühl überkam sie wie manchmal, wenn sie ihn nach dem Liebesakt betrachtete – ein beunruhigendes Gewahrsein seiner Verletzlichkeit und Wehrlosigkeit. »Entschuldige«, sagte sie leise. »Sei mir nicht böse. Ich hätte das nicht sagen sollen.«
»So ist es gar nicht.« Er stand auf und ging zum Zaun. »Es tut mir leid, daß du es so siehst.«
»Ich finde einfach, daß du viel netter bis als Magnus.«
»Wenn du ihm gegenüber nicht so empfindlich wärst –«
»Ich? Empfindlich?«
»Du bist doch nie seiner Meinung.«
»Er provoziert doch ständig –«
»Das ist nun mal seine Art. Er redet gern, es macht ihm Spaß, eine Diskussion anzuzetteln.«
»Ach, und wenn er mich provoziert, zettelt er eine Diskussion an, aber wenn ich ihn provoziere, bin ich empfindlich.«
»So habe ich das nicht gemeint.« Er holte tief Luft. »Ich möchte nicht streiten. Am wenigsten mit dir, Romy. Ich hasse Streit.«
»Magnus pumpt dich dauernd an«, sagte sie. »Und du hast selbst fast kein Geld.«
»Das ist mir doch gleich. Geld ist nicht wichtig.«
»O doch, das ist es, Tom, das ist es.« Sie starrte zum Wasser hinaus und sagte tonlos: »Es ist wichtig, wenn man keines hat. Wenn man nie welches gehabt hat. Es gibt zweierlei Arten, kein Geld zu haben. Wenn du wirklich aus dem letzten Loch pfeifen würdest – wenn du nichts mehr zu essen hättest –, dann würdest du zu deiner Familie zurückkehren, nicht?«
»Ich denke, ja. Ich würde es nicht gern tun – es käme mir vor wie eine Niederlage.«
»Aber du könntest . Diese ganze zur Schau getragene Armut ist doch nichts als –«
Sie brach ab. Aber sein Blick war hart geworden, und er sagte: »Heuchelei? War es das, was du sagen wolltest, Romy? Es ist nichts als Heuchelei?«
»Nein … mehr … nur Theater .«
Sie sah, daß sie es nur schlimmer gemacht hatte. Er ging von ihr weg zum Strand hinunter und begann, Steine ins Wasser zu schleudern. Während sie ihm niedergeschlagen nachsah, fragte sie sich, warum sie ihm nie von der bitteren Armut ihrer eigenen frühen Lebensjahre erzählt hatte. Warum hatte sie ihm nie von ihrem Vater und
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