Das Erbe des Vaters
Beziehung? Spürte sie einen Mangel?
Was wäre sie bereit, für Tom zu tun? Würde sie ihn heiraten, seine Kinder zur Welt bringen, das Leben aufgeben, das sie sich aufgebaut hatte, wenn es ihm nicht paßte? Würde sie sich für ihn klein machen? Würde sie ihm immer wieder verzeihen, wie Mrs. Plummer Johnnie Fitzgerald immer wieder verzieh? Würde sie für ihn lügen, stehlen oder gar töten? Sie wußte, daß sie das nicht tun würde. Sie fragte sich, ob das von Bedeutung war. Vielleicht paßten ihr Toms Zaghaftigkeit, seine zögerliche Art und seine Bereitschaft, sich führen zu lassen. Wozu brauchte sie Leidenschaft? Sie wußte zu gut, wohin unbezähmbare Leidenschaft – ob sie einem Geliebten galt oder einem Haus – führen konnte.
Romy klemmte die Einkaufstüte fester unter den Arm und rannte die Treppe zum Untergrundbahnhof hinunter.
Das Sommerfest der Gemeinden Swanton le Marsh und Swanton St. Michael fand jedes Jahr im August im Park von Swanton Lacy statt, unverrückbar wie Weihnachten und unvermeidlich wie die Steuern. Evelyn war für die Organisation des Fests zuständig, sie mußte Tische und Stühle für die Stände besorgen und sich mit den teilweise schwierigen und überempfindlichen Gemeindemitgliedern herumschlagen, die beim kleinsten falschen Wort tief gekränkt reagierten. Eines Morgens beim Frühstück bemerkte Osborne, daß am Nachmittag die beiden Gemeindepfarrer, Mr. Brown und Mr. Lestrange, vorbeikommen würden, um organisatorische Einzelheiten zu besprechen.
Evelyn nahm sich einen Löffel Rührei. »Ich finde, wir sollten das Ganze dieses Jahr ein bißchen herunterschrauben«, sagte sie. »Es kostet jedesmal so wahnsinnig viel Zeit.«
»Es ist nur ein kleines Dorffest.«
»Osborne, man muß planen wie für eine Riesenschlacht. Und gerade jetzt, wo ich mich mehr um Mutter kümmern muß und keine Köchin habe, ist mir das wirklich zuviel. Der Garten kommt ja auch noch dazu – der sieht hinterher immer fürchterlich aus. Und dann soll ich auch noch sämtlichen Rosen die verwelkten Blüten abknipsen und den Boden unter ihnen mulchen, weil sonst diese gräßliche Lockhart wieder ihre Bemerkungen macht.«
»Ich denke, wegen der Doktorsgattin brauchen wir uns wirklich kein Kopfzerbrechen zu machen.«
»Letztes Jahr hat sie mir allen Ernstes angeboten, mir ihren Gärtner auszuleihen. Diese Gönnerhaftigkeit!«
»Das Fest ist eine alte Tradition, Evelyn. Man kann es nicht einfach ändern.« Knisternd blätterte Osborne seine Zeitung um.
Mit einem Zorn, der ihr jetzt schon vertraut war, starrte Evelyn auf die Rückseite der Times . »Osborne«, sagte sie, »hast du eigentlich ein einziges Wort von dem gehört, was ich eben gesagt habe?«
Er senkte die Zeitung. »Selbstverständlich.«
»Ich versuche, dir klarzumachen, daß ich das dieses Jahr nicht schaffen kann. Es war etwas anderes, als wir Angestellte hatten, aber unter den jetzigen Umständen schaffe ich das wirklich nicht.«
Er runzelte die Stirn. »Aber natürlich schaffen wir das.«
Wir , dachte sie, dabei bestand Osbornes einziger Beitrag zum Dorffest darin, eine Eröffnungsrede zu halten und die Preise zu überreichen. Sie legte Messer und Gabel nieder. »Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, was ich da an Arbeit hineinstecken muß? Hast du eine Vorstellung davon, wieviel Zeit ich damit vertue, Leute zu beschwatzen, die überhaupt keine Lust haben, Teewärmer zu häkeln oder Kuchen zu backen? Hast du eine Vorstellung davon, wie lange ich hinterher zum Aufräumen brauche? Alle versprechen immer zu helfen, aber natürlich hilft keiner – außer ein paar treuen Seelen wie Mrs. Lestrange und Mrs. Arnold, aber sie haben Familie, vergiß das nicht, man kann von ihnen nicht erwarten, daß sie bis Mitternacht bleiben und unsere Böden schrubben. Letztes Jahr habe ich allein für die Toiletten einen ganzen Vormittag gebraucht. Und der Müll im Garten –«
»Ich bedauere, daß du es so beschwerlich findest«, sagte er kalt, »aber das Sommerfest ist immer hier gefeiert worden.«
»Ich sage ja auch gar nicht, daß wir es abblasen sollen«, entgegnete sie. »Aber man könnte es doch etwas weniger aufwendig gestalten.«
»Und was würde das den Nachbarn sagen?«
Sie starrte ihn an. »Ist dir das so wichtig – den Schein zu wahren?«
Er faltete die Zeitung und stand auf. »Es sollte auch dir wichtig sein, Evelyn. Wir haben schließlich eine Stellung zu verlieren.«
Er hatte so eine Art, die Hände auf dem Rücken
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