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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Middlemere erzählt? Die schrecklichsten Ereignisse ihrer Kindheit, die Ereignisse, die ihre Familie ins Elend geführt hatten, hatte sie Tom gegenüber nie auch nur mit einem Wort erwähnt. Warum? Weil sie sich schämte? Oder weil sie ihm nicht vertraute?
    Weder Tom noch Magnus hatten die Erfahrungen gemacht, die sie gemacht hatte. Nur jemand, der wie diese beiden aus einer liebevollen, in gesicherten Verhältnissen lebenden Familie kam, konnte behaupten, Geld sei unwichtig. Aber Armut war nichts Romantisches. Armut war nicht, im idyllischen Dachstübchen malerisch zu darben. Sie hatte schon vor Jahren, auf dem Fest bei den Pikes, erkannt, daß Armut etwas sehr Prosaisches und Häßliches war und daß sie einem keine Wahl ließ. Armut hieß, nie schöne Dinge zu besitzen, Tag für Tag dasselbe zu essen, immer dieselben Kleider zu tragen, nicht zur Abwechslung mal ins Kino zu gehen oder ans Meer fahren zu können, besser nicht auf eine Party zu gehen, wenn man schon mal eingeladen war, weil man bestimmt aus dem Rahmen fallen würde. Und wenn man aus dem Rahmen fiel, dann schauten die Leute auf einen herab und glaubten, man wäre selbst schuld daran.
    Sie wußte, daß es Dinge gab, die sie Tom nie erzählen würde. Sie würde ihm so wenig wie Olive oder Teresa, Mrs. Plummer oder Psyche erzählen, daß ihr Vater sich das Leben genommen hatte. Solche schlimmen Dinge teilte sie nur mit ihrer Familie.
    Und mit einem anderen natürlich. Zum erstenmal seit langem dachte sie an Caleb Hesketh. Wie seltsam, daß ein Fremder ihre Geheimnisse kannte, während Tom, dem ihr Herz gehörte, mit dem sie ihr Bett teilte, davon keine Ahnung hatte.
    Einige Tage später rief Mrs. Plummer Romy in ihr Appartement. Auf dem Bett lag ein aufgeklappter Koffer, und die Türen der Schränke waren weit geöffnet. Mrs. Plummer hielt zwei Kleider hoch. »Was meinen Sie, welches soll ich mitnehmen? Das blaue oder das smaragdgrüne?« Ihre Augen strahlten, sie schien innerlich zu glühen.
    »Das smaragdgrüne«, sagte Romy.
    Mrs. Plummer nickte. »Es ist frischer, nicht?« Sie legte das Kleid vorsichtig auf das Bett und begann, es in Seidenpapier einzupacken. »Johnnie und ich fahren ein paar Tage aufs Land«, sagte sie, und Romy, die den Grund für den Stimmungsumschwung ihrer Chefin begriff, lächelte.
    »Ja, Mrs. Plummer. Soll ich irgend etwas Besonderes erledigen, während Sie weg sind?«
    »Anton hat mir immer noch nicht den endgültigen Speisezettel für den Empfang am nächsten Wochenende gezeigt. Sie können ihn mir telefonisch durchgeben, Romy. Und ich war gar nicht zufrieden mit der letzten Blumenlieferung von Dixon. Ich habe den Leuten schon früher gesagt, daß ich rote Gladiolen nicht mag, sie sehen gewöhnlich aus und passen nicht zum Dekor. Ach, und rufen Sie doch die Wäscherei an. Wegen der letzten Rechnung. Sechs Pfund für die Kopfkissenbezüge, das ist ja absurd.«
    Ein halbes Dutzend Handschuhe in verschiedenen Farben folgte dem Kleid in den Koffer. Mrs. Plummer lächelte. »Würden Sie noch eine Besorgung für mich erledigen, Romy? Ich brauche ein paar Sachen von Harrods. Besorgen Sie mir fünf Paar Strümpfe – Sie wissen ja, welche. Und meinen Sie, Sie könnten ein kleines Geschenk für Johnnie für mich aussuchen? Das letzte Mal, als ich dort war, hatten sie sehr schöne Seidenschals. Ein Rostbraun vielleicht, was meinen Sie? Nur eine kleine Überraschung für ihn. Sagen Sie den Leuten, sie sollen es auf mein Konto schreiben.« Sie richtete sich auf und klappte ihren Schmuckkasten auf. »Also, Romy, laufen Sie los. Vielen Dank.«
    In der Herrenabteilung von Harrods wählte Romy einen dunkelroten Seidenschal mit Goldsprenkeln. Auf dem Rückweg zum Untergrundbahnhof sah sie die Schlagzeilen an den Zeitungsständen, die die Hinrichtung von Ruth Ellis meldeten. Der Evening Standard zeigte auf seiner Titelseite ihr Bild: eine blondgebleichte, hohläugige, zerbrechliche Frau.
    Romy fröstelte trotz der sommerlichen Wärme. Sie dachte an Psyche und Magnus, an Johnnie Fitzgerald und Mrs. Plummer. Und an Ruth Ellis und den Mann, den sie erschossen hatte, ihren gutaussehenden treulosen Geliebten, David Blakely. Während sie durch das abendliche Gewühl eilte, schweiften ihre Gedanken zu Tom. Zwar hatten sie sich nach ihrer Meinungsverschiedenheit wieder versöhnt, aber sie hatte das Gefühl, daß etwas sich verändert hatte. Oder war es so, daß sie selbst auf einmal Tom mit anderen Augen sah? Fehlte ihr etwas in dieser

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