Das Erbe des Zauberers
einen kurzen Blick mit seiner ältesten Frau wechselte, die am Herd nähte. Nach der Zoon-Tradition trug sie schwarze Kleidung, was sicher Grannys Zustimmung gefunden hätte.
»Wie willst du dich nützlich machen?«, fragte der Lügner. »Mit Waschen und Fegen?«
»Zum Beispiel«, erwiderte Esk. »Außerdem kann ich mit dem zwei- und dreifachen Destillierkolben umgehen, lackieren, glasieren und firnissen, schmirgeln, hobeln und schnitzen, verschiedenes Wachs und Kerzen herstellen. Ich kenne mich mit Pflanzen, Wurzeln und Früchten aus, weiß, wo die Acht Wundervollen Kräuter wachsen, wie man sie schneidet und zubereitet. Ich kann spinnen, karden, kämmen, krempeln und weben, entweder per Hand, am Rahmen oder mit dem Webstuhl. Ich kann stricken, wenn jemand die Wolle für mich vorbereitet. Ich deute Boden und Felsen. Ich beherrsche das Zimmerhandwerk und kann mit Stech- und Lochbeitel ebensogut umgehen wie mit Stemmeisen und Zapfenstreichmaß. Ich sage das Wetter voraus, indem ich das Verhalten der Tiere und die Wolken beobachte. Ich weiß, wie man mit Bienen umgeht und die Honigproduktion steigert. Ich braue fünf Sorten Met und Bier, behandle Tücher mit Beize, Ätzwasser und Grund, mische mehrere Farbstoffe, wodurch sich neue Tönungen ergeben. Ich kann die meisten Arbeiten von Klempnern und Schuhmachern erledigen, schneide und pflege Leder. Und wenn ihr Ziegen habt: Ich kann sie füttern und melken, mich um sie kümmern. Ich mag Ziegen.«
Amschat musterte sie nachdenklich. Vielleicht erwartete er, daß sie die Liste fortsetzte.
»Oma Wetterwachs hält nichts von Leuten, die untätig herumsitzen«, erklärte Esk. »Sie sagt immer, eine Frau, die sich zu helfen weiß, hat keine Schwierigkeiten, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.«
Amschat hob die Brauen. »Wahrscheinlich braucht eine solche Frau nicht einmal einen Ehemann.«
»Nun, auch in dieser Hinsicht hat Oma viele Ratschläge anzubieten …«
»Daran zweifle ich nicht«, sagte Amschat. Erneut sah er seine ältere Frau an, die kaum merklich nickte.
»Nun gut«, brummte er. »Wenn du dich nützlich machen kannst, darfst du bleiben. Spielst du auch irgendein Musikinstrument?«
Esk erwiderte den prüfenden Blick des Mannes, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wahrscheinlich«, sagte sie stolz.
Und so entfernte sich Eskarina immer mehr von den Spitzhornbergen und ihrem milden Reizklima (das manchmal ganz schön reizte). Sie empfand nur vages Bedauern, wenn sie die undeutlicher werdenden Konturen des Gebirges beobachtete; und wenn sich ein Hauch von Melancholie in ihr regte, konzentrierte sie sich rasch auf die Zoons und ihre gemütliche Reise stromabwärts.
Der Konvoi bestand aus mehr als dreißig Kähnen, und auf jedem lebte mindestens eine große Zoon-Familie. Alle Boote beförderten unterschiedliche Fracht. Die meisten waren aneinandergebunden, und wenn jemandem der Sinn nach einem Gespräch stand, kletterte er einfach über die Reling aufs nächste Deck.
Esk machte es sich inmitten der Wolle bequem. Unter der Plane hatte sie es angenehm warm, und außerdem erinnerte sie der Geruch an Grannys Hütte. Hinzu kam, daß sie dort niemand störte.
Mit zunehmender Besorgnis dachte sie an die Magie, die sie auf Schritt und Tritt begleitete.
Sie entwickelte ein beunruhigendes Eigenleben. Eskarina beschwor sie nicht, und doch kam es in ihrer Nähe immer wieder zu thaumaturgischen Phänomenen. Sie ahnte, daß die Zoons nicht sonderlich begeistert gewesen wären, wenn sie davon erfahren hätten.
Aus diesem Grund ergriff Esk einige Vorsichtsmaßnahmen. Wenn sie spülte, klapperte sie laut mit Tellern und Tassen, um darüber hinwegzutäuschen, daß sich das Geschirr von ganz allein wusch. Wenn sie Socken stopfte, zog sie sich in einen entlegenen Winkel des Kahns zurück, damit niemand sah, daß sich die Löcher völlig selbständig schlossen, wie durch – Zauberei. Als sie am zweiten Tag ihres Aufenthaltes an Bord erwachte, mußte sie feststellen, daß sich ein Teil der Wolle gekämmt, gekardet und zu weichen Decken verknüpft hatte.
Esk wagte es nicht mehr, an magisch entzündete Feuer zu denken.
Natürlich verbrachte sie ihre Zeit nicht nur damit, der nächsten FastKatastrophe vorzubeugen. Hinter jeder weiten Flußbiegung erwartete sie ein neuer aufregender Anblick. Sie sah von dichten Wäldern dunkle gesäumte Uferzonen; in solchen Bereichen steuerten die Zoons ihre Boote in die Flußmitte und schickten Frauen und Kinder unter Deck. Bei derartigen
Weitere Kostenlose Bücher