Das Erbe des Zitronenkraemers
lieben, er entsann sich seines ganzen Lebens, nicht zuletzt an den schlimmen Moment des Abschieds. In ihrem Blick hatte er damals ihre Angst, ihre Sorge lesen können, nicht ahnend, dass er sie niemals wiedersehen würde. Er lachte. Lange hatte er gewartet, das stimmte, aber, und nur das zählte, er hatte sie wiedergesehen. Sie sah heute anders aus, moderner, sie trug eine andere Frisur, andere Kleidung, aber unzweifelhaft, sie war es. Er würde schon alles wieder zurechtbiegen. Er würde sich ihr zu erkennen geben, und dann würde sie begreifen. Und endlich, endlich würden sie wieder vereint sein.
Er hatte seinem Therapeuten davon erzählt. Von seinem früheren Leben, von seiner Liebe; dass er dies nun endlich erkannt hatte.
Der Therapeut hatte ihn nicht verstanden, ihn nicht unterstützt, verlangte, dass er darüber nachdachte, wollte mit ihm an dieser neuen „Idee“, wie er es nannte, arbeiten, sie analysieren. Sie auseinanderpflücken, dachte er erbost, mir alles kaputt machen! Zu diesem Scharlatan gehe ich nicht mehr! Er würde sein Leben nun allein in die Hand nehmen. Jetzt, wo er endlich ein Ziel hatte.
Er konzentrierte sich wieder auf die Fotos. Hunderte hatte er von seiner Digitalkamera auf den Computer übertragen. Alles Fotografien von Anne. Nein, von Giulia. Alle heimlich geschossen, manche undeutlich und verschwommen, andere einfach wunderbar. Er wählte eine gezoomte Großaufnahme aus und entfernte alles bis auf ihr Gesicht. Er zauberte ihr eine andere Frisur; eine Hochsteckfrisur mit eingeflochtenen Perlen. Dann „zog“ er ihr ein cremeweißes Kleid an, weit ausladend mit überlangen Ärmeln, unter denen er nur angedeutet die makellos weiße Haut ihrer Hände herausschauen ließ. Er betrachtete sein Werk. Etwas stimmte nicht. Sie hatte früher nicht so gebräunte Gesichtshaut. Damals hatte sie eine edle Blässe gehabt, höchstens einen Hauch von Zartrosa auf den Wangen. Er veränderte ihre Gesichtsfarbe. Noch weißer, als das Kleid, fast gespenstisch. So ist es perfekt. Minutenlang betrachtete er zufrieden das Bild und streichelte es zärtlich mit den Fingerkuppen. „Giulia, meine Giulia“, hauchte er ihr zu. Auf diesem Bild musst du dich einfach wiedererkennen!
Zufrieden betätigte er zweimal den Drucker.
Schwierig wird es allerdings, sich endlich dieses Bauern zu entledigen. Dieser verdammte Harenberg, der sich einbildet, sie besitzen zu dürfen. Der ist doch unter ihrer Würde! Aber dieser Typ ist auch hartnäckiger, als ich dachte. Bislang ist er mir immer davongekommen. Zuerst diese dämliche Verwechslung mit dem armen Schwein Krischel. Dabei hatte ich alles bis ins kleinste Detail geplant: das Einschleichen bei den Treibern, die Informationen über die Aufstellungen. Und dann das Desaster. Alles umsonst. Wer hätte denn ahnen können, dass die beiden auch so kurzfristig ihre Positionen tauschen? So was Idiotisches! Ansonsten wäre schon längst alles in trockenen Tüchern. Und dann die Aktion mit dem Grab; zuerst fand ich das Ganze ja zu gewagt, aber ich hatte mir ausgerechnet, der Harenberg würde sich vor lauter Angst nicht mehr vor die Tür trauen. Aber weit gefehlt! Der turtelt weiterhin fröhlich mit meiner Giulia in aller Öffentlichkeit herum, und mittlerweile wohnt sie sogar bei ihm. Nicht auszuhalten! Ich muss diesem Zustand ein Ende setzen, sehr bald, ansonsten werde ich noch verrückt. Aber Achtung! Kein Fehler darf mir unterlaufen, man darf mich nicht als Mörder entlarven. Auf gar keinen Fall! Giulia würde mich als Mörder bestimmt nicht mehr lieben können.
Ja, es muss wie ein Unfall aussehen. Die Gelegenheit im Kletterpark war schon hervorragend. Es war so einfach, die Ausrüstung vor der Toilette liegend anzuzünden. Aber dieser Vollidiot ist ja gerade mal bis zur sechsten Stufe gekommen. Den Steiß hat er sich geprellt, das ist alles, was er davongetragen hat. Und jetzt wird er auch noch von Giulia gepflegt! Nein, das geht so nicht mehr weiter, ich werde … Er überlegte. Wenn Harenberg jedem Unfall zu trotzen schien, dann brauchte er eine vollkommen neue Idee. „Genau“, rief er triumphierend. „Ein Suizid!“ Das wäre viel besser, einfach genial, dachte der Mann und lachte in sich hinein. Und ich weiß auch schon wie.
Dann werde ich Annes Retter und Tröster sein. Und sie wird mich erkennen und lieben.
Aber zuerst musste er sich absichern. Es gab jemanden, der ihn verraten und alles zunichtemachen konnte. Er sah auf die Uhr. Ein Stöhnen
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