Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
selbst auch nicht mehr hat. Denn inzwischen gehört das Haus einem Händler, der die Zimmer zu Wucherpreisen an Tagelöhner und deren Familien vermietet. Der Thain hat es im Würfelspiel an diesen Mann verloren. Wenn ich ihm gegenüber einen Besitzanspruch auch nur äußern würde, so müsste ich sicher die Stöcke seiner Gehilfen spüren. Nein, unser Recht an diesem Haus ist lange verloren.«
Turgos machte dies traurig. In seiner Baronie waren das Recht auf Besitz und der Besitz selbst gut geschützt. Es gab zwar immer mal wieder Streitereien, die meist durch die Aufteilung von Grundstücken durch Erbschaften entstanden. Doch dann wurde sorgfältig geprüft, wer denn nun wirklich einen rechtmäßigen Anspruch auf das Geforderte hatte. Die Stadt Meerburg mochte groß sein und die Mauer ihrer Festung mächtig. Doch wenn die Herrschenden so mit ihrer Bevölkerung umgingen, dann war das Fundament letztendlich schwächer als der Staub auf den Straßen. In dieser Stadt lag scheinbar alles im Argen. Nun war er doch froh, nicht den Weg über die Wallstadt genommen zu haben. Denn auf diesem hätte er sicher noch mehr von diesen ungeheuerlichen Vorgängen erfahren.
Der Mann öffnete nun die Tür zu dem Haus, in dem er wohnte. Als Turgos und Whenda ihm folgten, wurden sie erneut von Abscheu überwältigt. Wenn sie gedacht hatten, dass es draußen in den Gassen stank, dann war das gar nichts im Vergleich zu jenem Geruch, der sie im Haus des Fischers erwartete. Es roch bestialisch nach verfaultem Fisch. Whenda, die als Letzte den Raum betrat, wich zunächst etwas zurück, bevor sie sich zusammenriss und erneut in den Raum trat. »Guter Mann, was stinkt denn hier wie die Leichen von Ochsen in der Sommersonne?«
Schnell ging der Fischer zu zwei Fässern, die an der Wand standen, und öffnete eines. Sowie er den Deckel anhob, wurde auch der Geruch intensiver. Whenda wich erneut zurück und Turgos erkannte, dass es voller Fischabfälle war.
» Warum hast du diese Fässer mit Abfällen im Haus, guter Mann? Das darf doch nicht wahr sein?« Turgos redete sich sein Unverständnis von der Seele. Er verstand nicht, wie jemand so etwas in seinen eigenen vier Wänden lagern konnte.
Doch der Fischer lachte ihn an. »Diese Abfälle sind kostbar«, sagte er mit einer gewissen inneren Überzeugung. »Bei Euch in Schwarzenberg mögen sie vielleicht nichts wert sein, doch hier bei uns ist das anders. Mit den Fischresten füttere ich zwei Ziegen, die ich hinten in der Kammer halte. Wo soll ich sonst für die Tierchen Futter herbekommen?«
Whenda wollte nicht glauben, was sie da hörte. »Du fütterst die Ziegen mit Fischabfällen?«, wollte sie noch einmal voller Unverständnis in der Stimme wissen. »Die müssen doch ganz schrecklich schmecken, wenn du sie schlachtest. Und ihre Milch«, angeekelt verzog sie das Gesicht, »schmeckt dann auch nach verfaultem Fisch?« Sie sah den Mann an.
» So schlimm schmeckt sie auch wieder nicht, alles reine Gewohnheitssache«, meinte er lapidar.
Die Armut bringt die Menschen dazu, die seltsamsten Sachen zu machen, dachte Whenda. Doch sie wollte ihr Geschäft schnell hinter sich bringen, denn der Gestank nagte an ihren Wahrnehmungen und schlug ihr aufs Gemüt. »Wo ist denn deine kranke Tochter?«
Nun erst wurde es dem Mann bewusst, dass sie sich einander noch nicht einmal vorgestellt hatten. Er entschuldigte sich dafür und sagte: »Ich heiße Tomur. Und meine Tochter ist dort im Schlafzimmer.«
Turgos und Whenda stellten sich ebenfalls vor und sahen zu, wie der Mann durch eine offene Tür verschwand, die zu einem Raum führte, in den viel Tageslicht hereinzukommen schien. Die Stube, in der sie sich gerade befanden, hatte nur ein Fenster, welches fast ganz mit Stofffetzen verhangen war.
»Kommt her«, forderte er sie dann auf, »hier ist meine Tochter.«
Als sie den Raum betraten, anscheinend bestand das Haus nur aus diesen zwei Räumen, sahen sie in einer Ecke sofort die beiden angebundenen Ziegen stehen, von denen er berichtet hatte. Das Zimmer hatte zwei Fenster , zwischen denen zwei schmale Betten standen. Im rechten lag ein kleines blondes Mädchen, das vielleicht acht oder neun Jahre alt war. Whenda erkannte sofort, dass es hohes Fieber hatte. Tomur legte dem Kind die Hand auf die Stirn und sprach etwas zu ihm. Jetzt sahen Whenda und Turgos, dass die Kleine in einem Fiebertraum gefangen war. Sie nahm ihre Anwesenheit nicht wahr und bewegte ständig den Kopf von der einen zur anderen Seite.
Weitere Kostenlose Bücher