Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
damals alles erlernt hatte, was dieser wusste, war schon lange tot. Er war dem Aufruf des Königs gefolgt und ins Haig gezogen, um dort verwundete Soldaten zu heilen. Wie er umgekommen war, wusste Whenda nicht. Als die Nachricht damals seine Frau erreichte, zog diese zu ihrer Schwester. Whenda überließ sie alles verbliebene Handwerkszeug ihres Mannes und so nahm sie dessen Stelle ein und versorgte weiter die Kranken.
Das Mädchen lag nun ganz ruhig. Die Tinktur hatte ihre Wirkung voll entfaltet, wie es schien, und die Dosierung schien zu stimmen. Auch die Gesichtsfarbe des Kindes war nun nicht mehr so vom Fieber bestimmt wie zuvor. Würden nicht die Schweißperlen noch auf ihrer Stirn stehen, so hätte man meinen können, dass hier einfach ein Kind in den Tag hinein schlief. Whenda drehte das Bett mit der Kleinen so herum, dass das Sonnenlicht, welches durchs Fenster fiel, direkt auf ihren Fuß scheinen konnte. Wenn sie zu Werke ging, war eine gute Sicht vonnöten. Hoffentlich starb das Kind nicht nach der Amputation. Doch darauf hatte sie keinen Einfluss – dies lag in der Hand der Mächte. Mochten sie ihr wohlgesonnen sein, dachte Whenda, während sie zum Fenster hinausschaute. Der kleine Hof, der dort lag, war mit spielenden Kindern gefüllt gewesen, als sie das Zimmer betrat. Doch nun war er leer und nichts rührte sich dort mehr. Whenda schätzte, dass sie noch zwei Stunden Sonnenlicht haben würden. Vielleicht auch etwas weniger. Es war schwer abzuschätzen, wie lange die Sonne wohl brauchen würde, bis sie wieder hinter den Hausdächern der Nachbarhäuser verschwand. Hoffentlich beeilten sich die Männer. Die Zeit arbeitete gegen sie und höchste Eile war geboten. Der Schnitt, den sie am Fuß des Kindes durchführen musste, stellte kein Problem dar. Mit etwas Glück konnte sie die Glieder der Zehen an ihren Gelenken gut abtrennen. Sie beabsichtigte nicht, eines davon durchzuschneiden. Wenn das Kind überleben würde, konnte es durchaus sein, das es humpelte, weil sie auch das zweite Glied des großen Zehs entfernen musste, so wie es aussah. Whenda vergewisserte sich nun noch einmal, dass der Faden aus dünnem Metall da war, mit dem sie die Wunde zunähen wollte. Und sie musste so schneiden, dass die Naht der Wunde dann oben auf dem Fußrücken lag.
Dieser Draht war ein kleines Wunderwerk der Feinschmiede und eigens für sie hergestellt worden. Er war hauchdünn und aus einer Legierung verschiedener Metalle gefertigt, denen eine heilende Wirkung nachgesagt wurde. Nahm man zum Vernähen von Wunden minderwertigen Draht, so kam es vor, dass sich diese entzündeten. Die Anyanar hatten damit keine großen Probleme, ihr Körper wurde mit fast jeder Art von Entzündung fertig. Aber die Menschen verfügten leider nicht über eine solche Konstitution, hatte ihr einst ihr Lehrmeister gesagt. Daluna war der erste Mensch, an dem sie ihre Heilkünste erprobte. Ihr Körper war gegen Entzündungen nicht gefeit, wie sie unschwer erkennen konnte, wenn sie auf den Fuß blickte.
Von der Türe her hörte sie Geräusche, Turgos und Tomur waren zurück. Whenda atmete auf, denn dies passte noch gut in ihren Zeitplan. Sie hatte nicht so schnell mit der Rückkehr der Männer gerechnet. Wenigstens eine halbe Stunde hatte sie noch geglaubt, warten zu müssen.
» Habt ihr alles bekommen?«
Turgos nickte. Tomos ging nach hinten, um nach seiner Tochter zu sehen.
»Höherprozentigen Alkohol gab es nicht«, sagte Turgos und hielt ihr einen Steinkrug hin, den er etwas schüttelte, damit sie die Flüssigkeit darinnen schwappen hörte. »Hier sind die auch die sauberen Tücher und für was brauchst du denn das Salz?«, wollte er wissen. Whenda gab ihm keine Antwort. Er hatte noch Kerzen und etwas zu essen eingekauft.
» Wir müssen uns beeilen, ich möchte nicht bei Kerzenlicht arbeiten müssen. Doch schön, dass du daran gedacht hast, sie mitzubringen. Hast du auch Öl bekommen?«
» Ah ja«, sagte er und griff in eine seiner Hosentaschen. Eine kleine Flasche kam daraus hervor, die er Whenda reichte.
» Das ist erst nötig, wenn die Wunde verschlossen ist.«
Turgos wusste, dass sie damit wahrscheinlich die Haut des Kindes geschmeidig machen wollte. »Das Salz hier in der Stadt ist unglaublich teuer«, sagte er noch. Doch für derlei Dinge hatte Whenda keine Zeit, sie konnten später noch darüber sprechen.
» Komm«, forderte sie ihn auf, »du bist heute mein Assistent.«
Turgos hatte dies schon befürchtet. Es machte ihm
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