Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
den Sohn des Barons unpassender kommen konnte als der Besuch der Vanäer. Er kniete vor dem Sterbebett seines Vaters und hielt dessen Hand, als der Bote das Zimmer betrat.
Fast jeder, der ihn kannte, hielt Turgos für einen harten Kerl und wusste, dass er die Baronie mit starker Hand regieren würde, sollte er einmal den Platz seines Vaters einnehmen. Er hatte keine dunklen Seiten und Schwächen, die er zu verdecken suchte. Er war geradeheraus. Das schätzte man an ihm. Doch nun kniete er am Bett seines Vaters und hielt die Hand des alten Mannes, der die Welt um sich herum vergessen zu haben schien. Seit mehr als einer Stunde hielt er schon die Augen geschlossen und sein schwaches Atmen war kaum mehr zu erkennen. Nur wenn man lange genug hinsah, sah man, wie sich der Brustkorb des Barons kaum merklich hob und wieder senkte.
»Herr«, sagte der Bote und Turgos drehte seinen Kopf in dessen Richtung, »die Anyanar sind gekommen.«
» Führt sie in den großen Saal, dort sollen sie auf mich warten.« Mit diesen Worten wandte Turgos sein Gesicht wieder seinem sterbenden Vater zu und der Bote verließ das Zimmer.
Turgos war schon am Abend zuvor gemeldet worden, dass die königlichen Schiffe der Vanäer am Horizont erschienen seien. Doch erst am Morgen waren die Schiffe dann auch im Hafen eingelaufen.
Am Sterbebett des Barons befanden sich außer seinem Sohn noch Dralon und Helmir, die Obersten der Armee Schwarzenbergs sowie Ingold, der alte Kastellan der Burg. Der Baron wollte nur diese Männer bei sich haben, wenn er diese Welt verließ und Turgos hielt sich an die Weisungen seines Vaters. In seinem Schmerz war ihm auch nicht danach zumute, noch weitere Gesichter hier im Raume erblicken zu müssen. Er wusste, dass es nach dem Tod seines Vaters viele Geschichten darüber geben würde, wie der alte Baron denn nun gestorben sei und welches seine letzten Worte waren.
Den drei anwesenden Männern hingegen vertraute er ungesehen. Sie waren von hoher Herkunft und dem Baron immer gut zu Diensten gewesen. Mit ihren ältesten Söhnen würden sie auch die Totenwache halten, wenn der Baron verstorben war.
Als es nun erneut an der Tür klopfte, rief Turgos daher etwas lauter und zorniger, als er es beabsichtigt hatte: »Ja!«
Erneut erschien der Bote in der Tür und erklärte, dass die Prinzessin Valralka und Nerija, die hohe Kanzlerin Maladans, wünschten, dem Baron die letzte Ehre zu erweisen. Turgos war zuerst darüber verärgert, dass die Anyanar nicht um die Ehre baten, sondern es wünschten, was so viel hieß wie, dass sie es forderten. Doch bevor er diesen Gedanken weiterverfolgte, besann er sich eines Besseren. Vielleicht hatte der Bote die Bitte einfach nur falsch wiedergegeben. Anmaßend waren die Anyanar nie gewesen, soweit er sich erinnern konnte. Und die Kanzlerin kannte den alten Baron schon länger als jeder andere hier im Raum, Turgos eingeschlossen. Auch war es eine hohe Ehre, die sie seinem Vater damit erweisen würden. In den Augen der anderen Männer im Raum erkannte er, dass diese der Bitte der Anyanar zustimmen würden, sollten sie gefragt werden.
» Sage den hohen Frauen, dass der Baron sie sehr gerne in seinen letzten Stunden bei sich haben möchte.«
Der Bote verließ sofort das Sterbezimmer und schloss die Türe leise hinter sich.
Schon kurze Zeit später betraten die Anyanar den Raum. Ohne ein Wort zu verlieren, ging Nerija langsam zum Bett des Barons und fasste diesem an die Stirn. Dann beugte sie sich hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das Turgos, der ihr am nächsten war, jedoch nicht verstehen konnte. Doch es musste sich um Worte in der alten Sprache Ilvaleriens handeln, denn die Melodie dieser Worte, wenn sie auch geflüstert wurden, erschien ihm angenehm und erhaben.
Nach der Kanzlerin wiederholte die Prinzessin von Maladan diesen Vorgang und Turgos gab sich Mühe, diese schönen Worte, die er nicht verstand, besser zu vernehmen. Es gelang ihm und ihm wurde warm ums Herz, auch wenn er den Sinn nicht verstand. Auch der alte Baron hatte mit einem Mal ein Lächeln auf den Zügen. So wusste Turgos, dass er recht gehandelt hatte, als er die Frauen an das Sterbebett seines Vaters gelassen hatte.
Nerija und Valralka traten nun vom Bett des Barons zurück und stellten sich neben die Männer, die dort bereits still warteten. Turgos erwartete, dass sein Vater noch einmal die Augen öffnete. In seinem Gesichtsausdruck war nun tiefe Zufriedenheit zu erkennen. Doch es schien, als würde der
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