Das Erbe in den Highlands
würde ihm schon noch beibringen, wer hier das Sagen hatte! Beinahe wünschte sie, er würde wieder erscheinen, damit sie ihm eine Gardinenpredigt halten konnte, die er für den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen würde. Sie hatte genug von seiner anmaßenden Art. Wenn er sich nicht anständig benahm, würde sie ihm all seine Waffen wegnehmen.
Das andere Schwert. Bei diesem Gedanken blieb sie abrupt stehen. Das Schwert, das unten noch im Sessel steckte. Wahrscheinlich war es zu schwer, um es schwingen zu können, aber es in ihren Besitz zu nehmen, könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Sie trat an die Tür und legte ihr Ohr ans Holz. Im Korridor war nichts zu hören. Sie entriegelte die Schlafzimmertür und öffnete sie so behutsam, dass sie nicht quietschte. Vorsichtig spähte sie in den Korridor hinaus. Die Fackeln waren erloschen. Auch gut. Wenn Genevieve ihn nicht sehen konnte, dann konnte auch er sie nicht sehen. Mit ein bisschen Glück war er unten in den Räumen der Dienstboten und trieb seinen Schabernack mit Worthington.
Genevieve setzte eine finstere Miene auf, als sie in den Korridor hinaustrat und die Tür hinter sich schloss. Worthington und seine eigene Persönlichkeit! Der alte Wichtigtuer wusste über das Gespenst genau Bescheid. Na, der würde morgen etwas zu hören bekommen. Gleich nachdem sie ihm gesagt hatte, dass sie nie mehr Haferflocken zum Frühstück wollte. Es war an der Zeit, ihn mit den Vorzügen von Pop-Tarts vertraut zu machen.
Der Rittersaal war leer bis auf die zwei Lehnstühle am Kamin. Das Feuer war fast schon so weit heruntergebrannt, dass es Genevieve bei ihrer Suche kaum nützlich war. Sie tastete sich mehr oder weniger durch den Raum und machte dann hinter dem Stuhl halt, auf dem Worthington am Abend gesessen hatte. Ihr blieb der Mund offen stehen.
Das Schwert war weg.
Sie ging weiter, kniete sich hin und betrachtete den Holzrahmen des Stuhls, auf dem sie gesessen hatte. Dann fuhr sie mit der Hand über die Stelle, an der sich ihre Zehen befunden hatten, und riss ungläubig die Augen auf.
Keine Spur. Keine Kerbe. Kein kleinster Hinweis darauf, dass ein gewichtiges Schwert in das Holz gerammt worden war.
Verblüfft setzte sie sich auf die Hacken zurück. Obwohl sie versucht war zu glauben, ihre Phantasie hätte ihr wieder einen Streich gespielt, war ihr klar, dass es nicht die Antwort sein konnte. Da war ein Schwert gewesen. Sie hatte gehört, wie es auftraf, und sie hatte den Schein des Feuers auf dem Stahl gesehen. Sie hatte das Wort ARTANE auf der Parierstange gelesen. Aber die Waffe war nicht mehr da, und auch nicht das leiseste Anzeichen dafür, dass sie da gewesen war.
Plötzlich kam ihr eine erstaunliche Erleuchtung. Das Schwert hatte keine Spur hinterlassen, weil das Schwert in Wirklichkeit gar nicht existiert hatte. Der Gespensterritter hatte es nur hervorgezaubert, um sie zu erschrecken, wie er auch sich aus der Luft herbeigezaubert hatte.
Er konnte ihr nichts antun.
Weil er nichts hatte, womit er es konnte.
Genevieve musste beinahe lachen. Und das würde sie auch, sobald sie dem verdammten Gespenst gehörig die Meinung gegeigt hatte. Rasch stand sie wieder auf, ging entschlossen die Treppe hinauf und den Korridor entlang zu ihrem Schlafzimmer. Sie sah nichts und hörte nichts.
Als sie die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, kochte es in ihr. Durch welche Hölle er sie geschickt hatte! Und womit? Mit vorgegaukelten Waffen.
Die Burg verlassen? Ha. Nie im Leben. Die Burg war ihr Zuhause, und das würde sie keinem übellaunigen Trottel zuliebe aufgeben, der keine Spur von Ritterlichkeit besaß.
Nein, ihr Gespenst würde erst einmal ein oder zwei Lektionen schlucken und dann lernen müssen, Genevieve zu akzeptieren. Weil sie nirgends hingehen würde.
5
Kendrick de Piaget, ehemals zweiter Sohn des Earl of Artane, seit Neuestem kampflos aufgebender Lord of Seakirk, saß in seinem Arbeitszimmer, die Füße auf einem Hocker vor sich, und starrte mit finsterer Miene auf den Fernseher, der fast die gesamte gegenüberliegende Wand einnahm. Bei allen Heiligen, er war wohl nicht mehr ganz richtig im Kopf! Nur aus diesem Grund konnte er eingewilligt haben, Genevieve heute Nacht noch bleiben zu lassen. Wenn er nur ein Fünkchen Verstand besäße, hätte er sie gezwungen, auf der Stelle zu gehen.
Durch geistige Impulse manipulierte er die Elektrik, um die Kanäle zu wechseln, und das mit einer Geschwindigkeit, bei der jedem Sterblichen schwindlig
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