Das Erbe in den Highlands
entgegengesetzte Richtung. Wenn er nicht durch verschlossene Türen gehen konnte, würde sie genau so eine zwischen sich und ihn bringen. Morgen früh würde sie die Geisterjäger anrufen und herkommen lassen. Ein Gespenst war etwas zu viel Persönlichkeit für ihre Burg. In diesem Augenblick kam ihr Langeweile sehr viel erstrebenswerter vor.
Sie hatte ihre Schlafzimmertür schon fast erreicht, da tauchte das Gespenst vor ihr auf, die Hände zu Fäusten geballt.
»Hölle und Verdammnis, Weib, ich verlange, dass du gehst!«, donnerte er.
Schlitternd kam Genevieve eine Handbreit vor ihm zum Stehen und wich dann ein paar Schritte zurück. Wenigstens hatte er sein Schwert und die Streitaxt irgendwo unten verloren. Wenn sie ihn lange genug ablenken konnte, um an ihm vorbei in ihr Zimmer zu schlüpfen ...
»Um n-nach d-draußen zu g-gehen, ist es schon etwas spät«, erklärte sie mit klappernden Zähnen.
Der Gespensterritter zog einen Flunsch. Auf seinem Gesicht lag ein Anflug von Unschlüssigkeit, dann setzte er wieder seine finstere Miene auf.
»Du wirst morgen gehen?«
Sie nickte hastig.
Er knurrte. »Morgen also. Bei Tagesanbruch.«
»Ich bin eigentlich keine Frühaufsteherin ...«
»Bei Tagesanbruch!«, herrschte er sie an.
»Bei Tagesanbruch«, stimmte sie eilig zu. »Mit dem ersten Sonnenstrahl.« Jetzt geh mir einfach aus dem Weg und lass mich in meine Zuflucht.
Das Gespenst verschwand. Genevieve starrte einen Moment lang auf die Stelle, an der es gestanden hatte. Dann wirbelte sie herum und sah hinter sich. Der Korridor war leer. Sie legte die Hand auf den Türgriff und hielt inne.
»Werden Sie heute Nacht auch bestimmt nicht in mein Zimmer kommen?«, fragte sie in die Leere hinein.
»Das Gemach gehört mir, Frauenzimmer!«
»In Ihr Zimmer«, korrigierte sie sich rasch. »Selbstverständlich ist es Ihres. Aber Sie lassen mich heute Nacht in Ruhe, nicht wahr?«
Eine Pause.
»Aye.« Das Knurren fing sich in der Stille des Korridors.
»Danke«, flüsterte Genevieve.
Ein missmutiges Grunzen war die Antwort.
Sie flüchtete in ihr Zimmer und verschloss die Tür. Dann lehnte sie sich dagegen und stieß einen tiefen, erleichterten Seufzer aus. In Sicherheit. Ihre Tür war versperrt, und ihr Gespenst hatte versprochen, sie nicht zu behelligen. Es würde zu seinem Wort stehen, dessen war sie sich sicher. Ein Ritter log niemals.
Ihre Knie gaben nach, und sie sank zu Boden, dankbar, dass der nicht unter ihr nachgab. Der Boden war das Einzige, das sich heute Abend so verhalten hatte, wie man es von ihm erwartete.
Auf einmal kamen ihr die Tränen. Sie sah zur Decke hoch und ließ den Tränen freien Lauf. Noch vor vier Monaten hatte sie ein schönes Zuhause, eine wunderbare Aussicht und ein gut gehendes Geschäft besessen. Jetzt hatte sie nichts mehr. Weniger als nichts. Sie war unverhofft in den
Besitz einer herrlichen Burg gekommen, nur um sie gleich wieder zu verlieren. Ihr Traum hatte sich erfüllt und war ihr dann unbarmherzig entrissen worden.
Sie zog die Knie an, legte die Stirn darauf und ließ die Arme kraftlos herabbaumeln. Was war in letzter Zeit nur mit ihrem Leben los? Alles entzog sich ihrer Kontrolle. Seit Wochen wurde sie von äußeren Umständen gegängelt. Und wenn es keine Kräfte von außen waren, dann setzten auf jeden Fall alle anderen sie unter Druck. Zuerst hatte ihre Mannschaft sie verlassen und Abfindungen gefordert. Danach hatten ihre Kunden sie derart in die Ecke gedrängt, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich von Bryan McShane in einer zugigen alten Burg abladen zu lassen, mit einem herrischen Butler und einem tyrannischen Gespenst!
Ihr Kopf ruckte hoch. Verdammt, das musste aufhören. Sie hatte die Schnauze voll, nach der Pfeife anderer zu tanzen, ihre Gutmütigkeit ausnützen und auf sich herumtrampeln zu lassen. Genevieve sprang auf und begann auf und ab zu schreiten. Ihre verletzten Gefühle kochten zu zorniger Empörung hoch. Worthington würde ihr nicht mehr vorschreiben, was sie zu essen oder wo sie zu schlafen hatte oder zu welchen Zeiten sie Tee trinken durfte, und dieses verdammte Gespenst - nun, das konnte sich mit seinem selbstherrlichen Wesen zum Teufel scheren!
Ihre Schritte wurden immer energischer. Wie konnte dieser Gespensterkerl es wagen, sie aus ihrem eigenen Haus zu werfen! Wer auch immer er sein mochte, er war bestimmt kein direkter Nachfahre von Richard of Seakirk. Der Trottel war sicherlich ein unehelicher Stallbursche mit Größenwahn. Sie
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