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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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Hvideleje. Ein Storchenpaar flog in geringer Höhe über die Felder nach Norden. Die langen Beine hingen wie schlaffe, rote Schnüre unter dem Rumpf, während der Schnabel ruhig in die Flugrichtung zeigte, ohne sich wie die Flügel auf und ab zu bewegen. Es tat gut, sie anzusehen, sie waren zu zweit. Sie schloss ihre Oberschenkel.
    »Die Köderdeerns haben den Fischern geholfen. In alten Zeiten« , sagte der Vater. »Damals, als das Meer so reich an Fischen war, dass die Männer von Westjütland anspruchsvoll und wählerisch wurden und sich weit von zu Hause fortwagten. Dort bauten sie sich Höhlen in den Dünen, in denen sie schliefen und aßen. Und sie hatten ihre Köderdeerns bei sich, die ihnen beim Kochen halfen, die die Kleider trockneten und flickten, und die sich um die Fische kümmerten.«
    »Und?«
    »Mehr haben sie nicht getan«, sagte der Vater rasch. »Nicht
dass ich wüsste jedenfalls. Oder vielleicht haben sie genau das getan, ohne dass dein alter Vater sich da zu sicher sein kann.«
    Er lachte laut, und Malie tat ihm den Gefallen und lachte mit. Denn so sprach er sonst nie zu ihr. Fast wie mit einer Erwachsenen. Das war seltsam. Und alles vielleicht wegen dieser Sache mit dem Bluten. Sie nutzte die Gelegenheit, um zu sagen:
    »Ich möchte lieber nicht in den Konfirmandenunterricht.«
    »Ach was? Und warum möchtest du das lieber nicht? Dann wirst du doch auch nicht konfirmiert.«
    »Weil ... ich will das nicht. Er ... grabscht.«
    »Probst Salvesen?«
    »Ja. Nicht nur bei mir, bei allen Mädchen. Das ist passiert, als wir uns angemeldet haben. Ich kann ihn nicht ausstehen.«
    »Ich werde ihm den Hals umdrehen. Der wird maltraitiert! Mit diesem Poggenjunker hat es die ganze Zeit nur Ärger gegeben. Bei Gott, ich werde ihm einen Denkzettel verpassen, dass er ...«
    »Nein, das darfst du nicht, mein Vater. Ich will nur nicht zum Unterricht gehen. Ich war doch auf der Volksschule. Das muss reichen.«
    »Aber das ist doch eine Schande! In den alten Zeiten war unser Probst ein Ehrenmann. Aber dann ist er gestorben, und der Sohn ist nach seinem Examen nach Westen gegangen. Wir waren wohl nicht fromm genug für ihn. Aber dass ein Tropf wie Salvesen ein geistliches Gewand tragen darf ...«
    »Es gibt doch viele, die grabschen, mein Vater.«
    »Ja. Aber ein Geistlicher sollte einer sein, der das nicht tut.«
    »Ich brauche also nicht in den Unterricht?«
    »Das brauchst du nicht. Und ich spare das Geld für neue Kleider und eine Bibel.«
    »Aber was, wenn meine Mutter ...«
    »Dann spart auch deine Mutter das Geld für neue Kleider«, sagte er und lachte schallend.

    Der Stierkopf war bis oben mit Wasser gefüllt, als sie ihn heraufzogen, und der Vater wollte mit dem Wasser die ganze Aalladung abhäuten und waschen. Der Wageninhalt wogte vor ihnen hoch, als sie die Klappen offen stehen ließen, und der Vater schlug einen Aal nach dem anderen mit demselben länglichen Stein wie immer tot. Er zerschmetterte jedem die Schwanzspitze, wo Gedanken und Leben saßen, und warf die Aale zu Malie hinaus. Sie setzte einen Schnitt in die Nackenhaut, befestigte den Kopf am Aalhaken hinten am Wagenrad und zog die Haut ab, von oben bis unten. Es war harte Arbeit, nach zehn oder zwölf Aalen setzte sie sich ans Ufer und wollte nicht mehr.
    »Ich bin nicht gesund«, sagte sie, befreite ihre Zehen von den Holzschuhen und hielt sie ins Wasser. Der Vater seufzte, beschwerte sich aber nicht. Er arbeitete weiter, mechanisch, während er in Gedanken Aale und Kronen zählte.

    Es tat gut, die Füße ins Wasser zu halten und die Hände hinter sich ins Gras zu stützen. Das Korn stand so hoch, dass die Welt verschwand. Es gab nur noch die Wasseroberfläche vor ihr, den Fluss, der glatt und ohne Kräusel dahinfloss, und das Geräusch, mit dem der Stein die Aalschwänze traf.
    Sie dachte: Ich bin erwachsen. Ich weiß eine Stelle, an der viel Geld liegt. Ich muss nicht in den Konfirmandenunterricht. Ich bin nachts von meinem Vater befreit. Aber ich werde den Postgehilfen Lars anlächeln, werde lächeln, bis er feuerrot wird, und diesmal werde ich nicht weglaufen.
    Der Vater pfiff jetzt aus Freude über den guten Fang, und dann ging sein Pfeifen in Gesang über:
    »Nein, nein, ich will dich nicht sehen, deshalb musst du gehen« , stimmte Malie ein.
    »Der Amagermann ist riesengroß...
die Amagerfrau hat den breitesten Schoß ...
ihr Pferd, das ist ein Amagergaul ...
und ihre Zwiebeln sind immer faul!«
    »Und du willst also nicht zum

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