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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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geliebt«, sagte Ib. »Du warst sein kleiner Sonnenschein.«
    »Wirklich?«
    »Er hat sich immer so auf deine Besuche gefreut.«
    »Weil dann Glück und Ruhe ins Haus einzogen«, sagte Mutter. »Nimm das nicht persönlich.«
    »Du und Oma, ihr habt euch immer gestritten. Und Opa hatte es sicher total satt, sich das anzuhören«, sagte ich.
    »Aber wenn du allein hier warst, kleiner Schatz«, sagte Ib und lachte.
    »Ja, da war eitel Sonnenschein angesagt«, sagte Mutter.

    »Ja, das war es wirklich«, sagte ich. »Und deshalb hätte ich gern die kleine Schüssel mit dem Wasserfall.«
    »Bitte sehr, die gehört nirgendwo dazu«, sagte Ib und reichte sie mir. »Und damit ist die Sache erledigt. Das ging doch wie geschmiert. Wenn wir mit dem Teilen Probleme gehabt hätten, hätten wir einen Polterabend veranstalten müssen!«
    »Wir kennen doch niemanden, der vor den Traualtar tritt«, sagte Mutter.
    »Eine grauenhafte Sitte«, sagte Ib. »Das viele schöne Porzellan.«
    »Ich war nur einmal bei so was dabei«, sagte Mutter. »Und da wurde Steingut benutzt. Damals, als Kurt seine Bodil geheiratet hat, die, die mit mir im Internat war, kannst du dich an ihn erinnern?«
    »Den schrecklichen Kurt, es ist unvorstellbar, dass die wunderbare Bodil den genommen hat. Der hatte wirklich nichts Besseres als Steingut verdient.«
    »Papa hat die Sachen für mich aus dem Keller geholt«, sagte Mutter. »Mutter wollte mir Papas Porzellan geben.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Himmel ... der Ketter!«
    »Du musst einen Container bestellen. Ich hab die Nase voll.«
    »Redet ihr vom Polterabend?«, fragte Lotte, die eine Thermoskanne in der Hand hielt. »Wollt ihr alles kaputtschmeißen?«
    »Wir hatten keinen«, sagte Ib.
    »Nein, wir sind nach Helsingor durchgebrannt. Ausgerechnet« , sagte Lotte.
    »Könntest du dir Mutter auf unserer Hochzeit vorstellen? Das wäre was gewesen! Sie hätte dermaßen geweint, dass der Pastor nicht zu Wort gekommen wäre. Es hätte auch nichts geholfen, wenn wir am Vorabend hundert Essservice zerschmissen hätten.«
    »Scherben bringen Glück«, sagte Lotte auf Deutsch.
    »Manchmal«, sagte Mutter.
    »Was bedeutet das eigentlich?«, fragte ich.

    »Dass Scherben Glück bringen«, übersetzte Lotte.
    »Manchmal«, wiederholte Mutter.

    Zwei Wochen nach seinem Tod war Opas Arbeitszimmer bereits vollständig ausgeräumt worden. Oma hatte die Fabrik angerufen und ihnen alles vermacht, als Schenkung. Am folgenden Tag wurde, nach Ibs Darstellung, das Haus von einer ganzen Heerschar von Menschen belagert. Oma hatte sie die Porzellanfiguren genannt. Sie hatte sich in den Türöffnungen dramatisch an alle angeklammert, hatte mit zitternden Händen Sherry serviert, hatte geweint, hatte den großen Verlust ihres geliebten Mogens Christian verkündet und sich darüber verbreitet, wie stolz sie immer auf ihn gewesen sei. Sie hatten kistenweise Porzellan aus dem Haus getragen. Als Ib eintraf, war ein Lieferwagen bereits bis an den Rand gefüllt. Oma hatte Ib beschwipst ins Esszimmer gezogen und auf den Mahagonitisch gezeigt, wo die ganze breite Tischplatte von einem gewaltigen Blumenbukett bedeckt war.
    »Von der Fabrik«, hatte sie geflüstert. »Vom Direktor. Weil sie alle Zeichnungen und Muster bekommen haben. Und ich bin ja nur glücklich darüber, dass ich die los bin. Das hätte er mal wissen sollen.«
    »Ruby und ich hätten vielleicht auch gern etwas davon gehabt« , hatte Ib gesagt. »Einige von seinen Zeichnungen, von seinen Musterentwürfen ...«
    »Ha, das war doch alles nur Müll, Junge, das weißt du nur zu gut. Der hat es doch nie zu etwas gebracht. Ein schnöder Kopist...«
    Ich kann mich an seine Hände erinnern. Weiß und schmal, die Haut so glasurblank und ruhig, dass die Adern zu sehen waren. Ich wäre ihnen gern mit einem in Kobaltblau getunkten Pinsel aus Marderhaaren gefolgt, um sie deutlich zu machen, sie und das pochende Blut, das sie in stiller Freude zittern ließ, weil sie malen durften, statt zu reden.

    Ich trug mein Erbe zum Sofa. Ich hörte sie darüber reden, dass sie in die Stadt fahren und beim Anwalt Papiere unterzeichnen müssten. Ich wollte allein sein. Am nächsten Tag war die Trauerfeier, danach würden wir nach Hause fahren. Ich ging zu ihnen und sagte: »Ich bleibe hier.«
    »Willst du nicht mitkommen? Wir fahren jetzt«, sagte Mutter.
    »Ich will mit Oma fahren«, sagte Stian.
    »Und danach möchte ich ein bisschen bummeln gehen, bei dem schönen Wetter, in einem

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