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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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zahnlosen Loch zu entgehen, das machte er jetzt seit zwei Wochen, seine Zähne würden später ein wenig schief stehen.
    »Das Lied heißt Mütterleins Wiegenlied«, sagte Ib. »Und ein Mütterlein war sie ja nun wirklich nicht.«
    »Er spielte es also, um ...«, sagte Lotte.
    »Man könnte es als kleine Demonstration bezeichnen! Und er machte es nur, wenn Mutter Ruby oder mich schlecht behandelt hatte. Wenn sie die Geduld verlor und uns eine runterhaute. Oder wenn sie sich eben so hysterisch und unerträglich aufführte, wie nur sie das konnte.«
    »Dann setzte er sich ans Klavier und spielte Mütterleins Wiegenlied« , sagte Lotte.
    »Wenn er das tat, um sie zur Ordnung zu rufen, dann musste sie ja wohl reagieren dürfen«, sagte ich.
    »Hör dir das an«, sagte Mutter.
    »Prost!«, rief Ib. »Auf unser Mütterlein!«
    »Prost!«, erwiderte Mutter. »Um ihr Lager schwebet fein kein scheißweißes Engelein!«
    »Nein, die sind garantiert kohlschwarz, du.«
    Ich sprang auf und lief ins Badezimmer, hielt mich am Waschbecken fest. Oma hatte das Lied offenbar so leise gesungen, wenn sie auf meiner Bettkante saß, dass Mutter es nicht gehört hatte. Und wenn ich mir das genau überlegte, dann war das sicher der Fall gewesen. Ich flüsterte das Lied vor mich hin, so leise, dass ab und zu die Melodie verschwand. Ich hielt die Hände unter Wasser und hob sie dann an mein Gesicht.

    Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, waren sie beim Porzellan angekommen.

    »Er kann nicht sprechen, er will nur malen«, äffte Mutter Oma nach. Der Schrank enthielt Tassen, Vasen, Schüsseln und Kuchenplatten, die am Rand wie Spitzen durchbrochen waren. Vier mit Porzellan gefüllte Schrankfächer. Ganz hinten stand eine kleine Schüssel, die mit einem blauen Wasserfall bemalt war, umkränzt von dem Text Haugfossen. Modum Blaufarbenwerck, in altmodischer Schnörkelschrift.
    »Was möchtest du davon?«, fragte Mutter und sah mich an.
    »Das müsste taxiert werden«, meinte Lotte.
    »Mama hält für viele Leute Reden, und dafür kriegt sie Geld. Aber malen kann sie nicht«, sagte Stian.
    »Vortrag, heißt das«, sagte ich.
    »Dafür kriegst du Geld«, beharrte Stian.
    »Nicht genug, mein Herzchen«, sagte ich. »Im Vergleich dazu, wie langweilig das ist.«
    »Du müsstest in Geld schwimmen«, sagte Mutter. »Allein stehende Mütter ...«
    »Ja, du musst das ja wissen«, sagte ich.
    »Fang nicht damit an«, sagte sie. »Jetzt sehen wir uns das Porzellan an. Und hier wollte sich die Hexe offenbar nicht in die Verteilung einmischen.«
    »Das müsste taxiert werden«, sagte Lotte noch einmal.
    »Wieso denn?«, fragte Ib.
    »Weil es sehr wertvoll ist«, sagte Lotte.
    »Aber das hat Papa gemalt«, sagte Mutter. »Und da wollen wir es nicht verkaufen. Das sind doch Erinnerungen an ihn. Und es ist ein Wunder, dass sie es überhaupt noch hat.«
    »Wenn du wüsstest, was es wert ist, würdest du es vielleicht doch verkaufen«, sagte Lotte.
    »Na gut«, meinte Ib. »Wichtig ist, dass wir gerecht teilen, ja? Wir können unseren Teil ja später noch taxieren lassen und verkaufen, und Ruby kann selber entscheiden, was sie mit ihrem macht. Das ist doch eine gute Entscheidung. Wir sind doch nur zwei.«

    »Teilt zuerst, dann sehen wir ja, was übrig bleibt.«
    Sie füllten zwei Tische. Ich hob mehrere Schüsseln hoch und stellte fest, dass alle Opas Signatur aufwiesen, das charakteristische M, schräg unter den drei parallelen Wellen mit der Königskrone: das Warenzeichen des königlich dänischen Porzellans. Es waren wunderschöne Sachen, das vollendete Werk eines Ästheten. Kobaltblaue Ranken. Kobaltblaue Blumen. Muscheln am Rand. Fächer, die die Muster zusammenführen.
    Mutter nahm das Ess-, Ib das Kaffeeservice. Er teilte sich noch mehrere Kuchenplatten zu, damit es gerecht zuging. Vasen und Aschenbecher gab es in gleicher Menge. Eine gediegene Terrine mit Henkel, die wie eine Artischocke auf einem Stängel geformt war, wurde durch einen Bierhumpen mit Silberdeckel aufgewogen.
    »Wir haben ja im Grunde keine Ahnung, was welchen Wert hat. Das Älteste ist sicher das Wertvollste«, sagte Lotte.
    »Halt den Mund«, sagte Ib.
    »Ich geh Kaffee machen«, sagte Lotte.
    Als sie in der Küche verschwand, beschlossen Mutter und Ib, mir eine Kaffeekanne mit Sahnekännchen und Zuckerschale zu überlassen. Dazu gehörte ein silbernes Tablett, mit zwei kleinen runden Porzellangriffen.
    »Ich sollte wohl eher etwas von Mutter bekommen«, sagte ich.
    »Er hat dich

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