Das Erbstueck
Straßencafé sitzen. Und Stian kommt mit. Auch, wenn du unbedingt Schwierigkeiten machen willst«, sagte Mutter.
»Ich hab Kopfschmerzen.«
»Mama, hast du es gesagt?«, fragte Stian ernst.
»Ich bin noch nicht dazu gekommen«, antwortete ich.
»Was denn?« Mutter legte die Arme um ihn, weiche und alles verschlingende Arme. Stian starrte mich auffordernd an, ich begriff, dass hier Flüstern angesagt war. Ich flüsterte Mutter ins Ohr, dass Stian sich den Mixer wünsche. Sie drückte ihn an sich und sagte: »Dann ist das abgemacht. Ich werde deinen Namen draufschreiben, Herzchen. Für meinen kleinen, süßen Stian, werde ich schreiben. Und niemand darf dann vergessen, wem der gehören soll.«
Die Koffer waren nicht abgeschlossen, Mutter hatte gelogen. Mir blieben mindestens zwei Stunden. Im Küchenschrank stand eine Flasche Gin, die etwas weniger als halb voll war. Sie hatte es nicht mehr geschafft, alles zu trinken. Tonic war im Haus nicht vorhanden. Ich nahm mir Zitronenextrakt, der für Tee bestimmt war, und Eiswürfel, und füllte das Glas bis zu den kleinen Veilchen mit Wasser.
Ich holte den Tisch mit der Glasplatte und dem Bambusrand und stellte ihn zusammen mit einem Korbsessel vor den Springbrunnen. Ich leerte das Glas zur Hälfte, dann ging ich ins Haus und öffnete die Koffer.
»Ich nehme das, was mir am besten passt, ja? Du weißt doch,
Oma, dass ich nie eine besondere Diva sein mochte. Schon gar nicht damals, als ich deine kleine Prinzessin war.«
Die Stoffe quollen hervor. Als sie von den Kofferdeckeln befreit worden waren, wuchsen die luftigen Gewänder, als enthielten sie lebende Menschen. Sie machten wunderschöne Geräusche; Pailletten raschelten, die in die Stoffe eingenähten Amoretten klirrten gegeneinander. Ich achtete nicht auf den Staub, auf die Schweißränder an Nacken und Handgelenken. Hinter dem Geruch des Alters ahnte ich Omas Jungmädchenparfüm. Einen rosa Duft, voller Gesang. Ich hob alle Kostüme aus den Koffern und hängte sie über die offenen Deckel und die umstehenden Stühle. Kleider, lange bauschige Unterhosen mit Spitzenkanten, Strumpfbänder, einige platt gedrückte Hauben aus den Komödien, Isadora-Duncan-Schals in allen Pastelltönen. Kein einziges Kostüm war mit dem Namen der Erbin versehen, so wie Mutter behauptet hatte.
Ich fand das Kostüm, das ich gesucht hatte. Es war zu eng. Ich ließ den Reißverschluss am Rücken offen stehen.
Ich setzte mich an den Springbrunnen, zwischen die hohen Hecken, unter die Sonne, an Großmutters Tisch, in einem Kostüm aus dem Blauen Engel. Das war ihre letzte Rolle vor Mutters Geburt gewesen, 1933 also. Eine dänische Lola-Lola, die die Stadt im Sturm und lachend eroberte, mit Glanz und Gloria. Sie sang für mich, ich war ihr einziges Publikum. Ich weiß noch, dass ich dachte: Früher hatte sie bestimmt eine schöne Stimme. Jetzt war diese Stimme von den vielen Zigaretten brüchig und heiser, obwohl sie behauptete: Menthol schmiert. Ich war ein kleines Mädchen, das sich hingerissen von einer Oma verschlingen ließ, die sich für mich verkleidete und mit schräg gelegtem Kopf und hoch erhobenem Kinn umhertanzte:
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,
ja, das ist meine Welt, und sonst gar nichts.
Das ist, was soll ich machen, meine Natur,
ich kann ja Liebe nur, und sonst gar nichts.
Männer umschwirrn mich wie Motten das Licht,
wenn sie sich verbrennen, dafür kann ich nichts ...
»Das war Marlenes Lied. Eigentlich«, erklärte sie. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie da redete, nickte aber eifrig. Sie tanzte weiter und streckte die Arme nach beiden Seiten aus. Und dann sang sie noch einmal:
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,
ja, das ist meine Welt, und sonst gar nichts ...
Danach war sie traurig und wollte sich ausruhen. Sie wollte vergossene Milch beweinen, wie sie sagte, und bat mich, eine Weile am Strand zu spielen.
Ich fuhr mit der Hand über den Matrosenkragen, der mit einem großen flachen dunkelblauen Knopf befestigt war, und betrachtete meine nackten Beine im Gras. Dieses Kostüm erschien ihr als zu maskulin für diese Rolle. Oder zu maskulin für sie, trotz des schamlos kurzen Rocks. Sicher lag es an dem Matrosenkragen, der zu viel von ihren Schätzen bedeckte. Ein blauer Engel, unschuldsblau, ganz anders als die kohlschwarzen Engelein, die Mutter und Ib zufolge jetzt ihr Lager umschwebten. Eine Kabarett-S ängerin, die so dringend angebetet werden wollte, dass nicht einmal Professor
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