Das Erbstueck
sehen.
»Wo sind sie?«
»Tot«, sagte Dasse vom Stuhl her. »Ich konnte sie nicht mehr ertragen. Dieses Piepsen und Miauen.«
»Haben sie sich angesteckt? Können auch Katzen...«
»Ertrunken.«
»Sind sie ins Wasser gefallen?«
Es war unglaublich, dass sie den weiten Weg geschafft hatten, auch wenn sie jetzt sehen konnten.
»Geh jetzt nach Hause, Ruby. Ich bin müde.«
Sie erzählte alles Anna, und die sagte: »Man ertränkt sie selber. Einfach so. Das hat sicher Egil getan.«
»Hat dein Vater das gesagt?«
»Ja.«
»Obwohl er an Gott glaubt?«
»Gott bestimmt nicht über Kätzchen.«
»Ich will da nie mehr hingehen. Und ich bin froh, dass Søren tot ist.«
E s tat gut, die Mutter anzusehen, wenn sie nicht wusste, dass Ruby da war. Am schönsten war es, wenn sie vor dem hohen Spiegel im Schlafzimmer Kleider anprobierte und sich ungesehen und allein wähnte, während Ib schlief, und wenn sie zuerst in der Sonne Rotwein trank und dann Zarahs Platten auf dem Radiogrammofon laufen ließ. Ruby hatte sich im Vorhang versteckt und bewunderte die Mutter, die sich in alten Kleidern herumschwenkte, die über Hüften und Brüsten spannten. Sie schminkte sich und trank mehr Wein, sang zur Musik, schüttelte den Kopf wie ein Hund, bis die Locken tanzten. Sie legte sich Seidentücher in vielen Farben um den Hals oder warf sie über die Schultern. Eines Tages hob sie ihre Brüste aus einem knallroten Ausschnitt, streichelte sie und brach in Tränen aus. Ruby kniff die Augen fest zusammen und dachte an Hausarrest und Steine im Schuh und brennende Wangen nach harten Schlägen. Die Mutter weinte genauso, wie sie ab und zu allein vor dem Bild im Gartenzimmer weinte. Es war ein leises, jämmerliches Weinen, das sich an niemand Besonderen richtete. Sie umklammerte den Rahmen, und von ihrer Unterlippe troff Speichel, und ihre Knie knickten so seltsam ein, als tanze sie auf der Stelle. Anna fand das Bild hässlich, und wenn ihr Vater wüsste, dass es dort hing, würde sie nie wieder mit Ruby spielen dürfen.
Und die Mutter stand auch im Gartenzimmer, mitten in der
Nacht, nachdem sie und der Vater von einem Fest zurückgekehrt waren. Ruby wurde davon geweckt, dass die Mutter schrie, und dass der Vater sie zu beruhigen versuchte. Sie stieg ganz leise aus dem Bett und baute aus der Decke vor Ibs Gesicht eine hohe Mauer, um den Lärm zu dämpfen, dann lief sie ins Badezimmer, um zu hören, was da ablief. Das Badezimmer war weiß und still, ein guter Ort, mit einem Haken an der Innenseite der Tür.
»Ich halte das nicht mehr aus, Mogens. Wenn Tutt vorschlägt, dass wir alle vier zusammen verreisen können, und du nur nein, nein, nein sagst. Ich muss leben dürfen! Warum darf ich nicht LEBEN?«
»Wir haben kein Geld, Malie. Alles geht für den Haushalt drauf. Die Reise würde Geld kosten, und wir müssten essen, das können wir uns nicht leisten.«
»Geld. Du denkst an nichts anderes. Denkst du denn gar nicht an mich? Die hier gefangen sitzt, mit zwei Gören und einem zerstörten Leben? Du hast dein verdammtes Porzellan, du bist fast den ganzen Tag fort von hier, aber ich bin gefangen. Eine Gefangene in meinem eigenen Heim. Alles könnte anders sein...«
»Deswegen darfst du mir keine Vorwürfe machen. Ich habe nur getan, was ich ...«
»Und wem sollte ich denn dann Vorwürfe machen? Du könntest dir ja wohl eine besser bezahlte Arbeit suchen? Damit wir ein anständiges Leben haben.«
»Wir haben ein anständiges Leben. Aber dir reicht das ja nicht. Jetzt hast du zwei Kinder, die ...«
»Erzähl mir nichts von KINDERN! Meinst du vielleicht, ich sähe Ruby nicht an und wünschte, ich könnte alles ungeschehen machen, glaubst du, ich weiß nicht, wie dumm ich damals war?«
»Trink jetzt nicht mehr, stell das Glas weg. Sag nichts, was du dann später bereust.«
»Was spielt DAS für eine Rolle? Wo ich doch ABSOLUT ALLES BEREUE!«
»Pst! Du weckst die Kinder.«
»Ich hätte ... ich hätte nicht einfach aufgeben dürfen, damals. Ich hätte ...«
»Ja, was hättest du, Malie?«
»Ihm nachreisen müssen.«
Im Gartenzimmer wurde es ganz still. Ruby entdeckte, dass sie sich angepieselt hatte. Sie nahm sich ein Handtuch und wischte den Boden auf. Ihr Nachthemd war zum Glück nur vorn ein wenig feucht geworden. Es war viel zu still in dem Zimmer, bis dann die Stimme ihres Vaters ertönte, ungewöhnlich laut. Als gehöre sie einem Fremden: »Das hättest du also. Hast du nicht gesagt, dass er verheiratet war?«
»Ich will
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