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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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Attest, das Ruby bei Schulbeginn vorlegen sollte.

    Sie wurde gebadet, ihre Ohren wurden mit einer Haarnadel gesäubert, und sie freute sich darüber, dass sie zu Hause bei Anna war und jetzt in die Schule kommen würde. Nicht einmal der Fliegeralarm machte ihr Angst, denn der Vater hatte den Keller schön eingerichtet, mit zwei Regalfächern an der Schornsteinmauer, wo sie und Ib im Nachthemd und mit Gästedecken liegen konnten. In zerbombten Häusern stehe am Ende immer noch
der Schornstein, sagte der Vater, deshalb sei die sicherste Stelle gleich an der Mauer. Sie hörten auf den fernen Lärm, der Vater sagte, das sei die Flak, und es könne durchaus etwas auf dem Dach landen. Fransen aus Nr. 3 hatte einen Granatsplitter, der so groß war wie zwei Fäuste, durch das Dach und den Speicher in seiner Küche landen sehen. Jetzt benutzte er ihn als Briefbeschwerer. Und die Mutter hatte gelächelt, als sie ihr Möhren und Tomaten aus dem Schrebergarten überreicht hatte. Sie war vielleicht nicht mehr so erschöpft. Im Garten gab es jetzt einen Springbrunnen statt eines Goldfischteichs. Einen gegossenen Steinbrunnen mit einem Wasser speienden Kupfersatyr. Der Vater hatte den aus der Fabrik mitgebracht, im neuen Park war kein Platz mehr für ihn gewesen. Er und Frode hatten ihn auf einem Handwagen durch ganz Frederiksberg gezogen, sie hatten dreimal gehen müssen. Das Dumme war nur, dass Anna den Satyr als gefährlich bezeichnete. Als einen Dämon aus Griechenland, der kein bisschen heilig sei. Herr Fuchs hatte ihn von der Straße her gesehen und ein böses Omen genannt. Aber Anna durfte trotzdem mit ihr spielen. Sie kamen überein, dass es sich um einen Gojim-Springbrunnen handelte, und dann war es nicht ganz so schlimm.

    In Rubys Erinnerung erschien der Krieg später als dauernder Wechsel zwischen den Extremen. Wie die beiden Kleider von Lehrerin Olsen. Das blaue trug sie montags, mittwochs und freitags. Das braune dienstags, donnerstags und samstags. Aber die Kleider der Lehrerin waren immerhin vorhersagbar. Das andere war das nie: der plötzliche Fliegeralarm, der die Träume zerriss, worauf man in den Garten stürzen und durch die Kellerluke steigen musste und innerhalb weniger Sekunden hellwach war. Der freundliche Herr Jerk-Jensen im Svend Vonvedsvei, in dessen Garten sie früher Birnen hatten pflücken dürfen, trat dem Freikorps Dänemark bei, weswegen es nun erlaubt war, ihm die Fenster einzuwerfen. Am einen Tag kam
Fleisch auf den Tisch, am nächsten gab es nur gebratenen Sellerie. Aber am wechselhaftesten waren die Launen und Grillen der Mutter. Sie hatte Phasen der übertriebenen Reinlichkeit, in denen nach dem Putzen Zeitungen auf dem Boden lagen, und dann durften sie nur auf die Zeitungen treten. Sie schrubbte Rubys Knie mit einer Nagelbürste, auch wenn Ruby dort offene Wunden hatte. Sie putzte Wände und Decken und reinigte Ruby und Ib die Ohren, bis sie brannten und die Tränen strömten. Sie wienerte die Möbel mit Politur und jede einzelne Klaviertaste mit Salzwasser. Sie schraubte das Telefon auseinander und wusch alle Bestandteile einzeln. Und wenn der Vater in dem Loch, das er im Garten gegraben hatte und wo er ein in einem Jutesack verstecktes geliehenes kleines Radio aufbewahrte, Radio London gehört hatte, musste er sich von Kopf bis Fuß mit Kernseife schrubben, ehe er das Wohnzimmer betreten durfte. Doch dann hörte sie eines Tages mit der Putzerei auf, und danach war sogar der Gasherd mit schmutzigen Tassen bedeckt. Jetzt wollte sie Menschen sehen. Sie lud alle Welt ein, und Ruby rannte auf den Dachboden, ehe der Krach losgehen konnte. Der Vater wollte die Rationierungsmarken nicht für Fremde aufbrauchen, und er wollte nicht mitten in der Woche Feste veranstalten, die Mutter dagegen schrie: »Erik bringt immer etwas mit, du brauchst dir keine Sorgen um deine kostbaren Marken zu machen! Er arbeitet doch in der Lebensmittelbranche!«
    Und die Gäste kamen, unter ihnen ein Gutteil von Mutters alter Clique vom Theater. Ab und zu verschwand sie auch selber, mitunter blieb sie die ganze Nacht aus. Das war etwas Neues. Der Vater kniff dann die Augen zusammen und wollte Ruby keine Gutenachtgeschichte vorlesen, aber lesen konnte sie ja jetzt selber. Ib wurde am nächsten Morgen, wenn der Vater zur Arbeit ging und Ruby in die Schule musste, zu Dasse gebracht, und nachmittags lief sie dann gleich auf den Dachboden oder hinten in den Garten, wo sie sich unter den Rhabarberblättern versteckte,
bis das

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