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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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Arsch sitzt. Denn auch die drei hatten einen Onkel, der Frode hieß und trank, und der von einem Schubkarren aus Gemüse verkaufte. Aber Rubys Onkel Frode war lieb. Die Mutter sagte, er sei vor Gutheit nix wert. Er schenkte Ruby Fünförestücke und konnte mit den Ohren wackeln. Die Ohren bewegten sich an seinem Kopf hin und her, wenn Ruby ihn darum bat.
    Tutt und Käse-Erik waren fein. Sie hatten Geld und ein Kindermädchen.
Wenn sie auf Sonntagsvisite oder zu einem Fest kamen, brachten sie die Kinder nie mit. Darum kümmert sich das Mädchen, sagte Tutt und warf den Kopf in den Nacken. Jetzt saßen sie am Tisch und aßen Roggenbrot mit Zwiebelschmalz und Salami und Käse, mitgebracht von Käse-Erik, und kalten Taubenbraten aus dem Schrebergarten.
    Ib weinte auf dem Schoß der Mutter. Er hatte einen Sonnenbrand auf den Schultern. Die Mutter rieb ihn mit Vaseline ein. Der Tisch stand im Schatten und hatte eine blaue Decke. Eine Nachmittagsbrise setzte die Bäume in Bewegung, sie ließen tanzende Flecken aus Sonnengold über die Menschen wandern. Der Käse glänzte vor Schweiß, die Stirn des Vaters auch. Er hob im Rasen ein tiefes Loch aus. Die Mutter wünschte sich einen Goldfischteich. Er trug bei der Gartenarbeit Handschuhe. Er hatte immer Angst um seine Hände, sie durften keine Wunden bekommen oder von Splittern aufgekratzt werden, sie mussten doch Porzellan blau bemalen.
    »Haben wir auch Stühle im Keller, wenn es Alarm gibt?«, fragte Ruby.
    »Das haben jetzt alle«, sagte der Vater.
    »Ich will zu Hause bleiben.«
    »Nein«, sagte die Mutter.
    »Doch, das will ich. Ich will mit Anna spielen.«
    »Ach, Mogens! Nun red du mit ihr! Sie soll bei ihnen bleiben.«
    »Aber wenn sie doch lieber ...«
    »NEIN! Ich muss zu Kräften kommen. Ich bin erschöpft!«, rief die Mutter. Alle sahen sie an, und Tutt lachte laut. Sie trug einen riesigen weißen Sommerhut aus Seide, dessen Rand flatterte, wenn sie den Kopf bewegte.
    »Wovon denn erschöpft?«, fragte Tante Oda. Sie sagte immer, was sie dachte. Die Mutter gab keine Antwort.
    Ruby drehte sich zu Tante Oda um. »Ein Mann ist gestorben. 1936«, erklärte sie.

    Sie wurde vom Gartenstuhl gerissen und ins Haus geschleppt. Die Mutter schaffte es, sie beim Tragen zu schlagen. Harte Hiebe mit Hand und Unterarm, die Ruby an Rücken und Hintern und auf den Oberschenkeln trafen. Sie wurde aufs Bett geworfen und mehrere Male ins Gesicht geschlagen. Ihre Lippe platzte. Sie wusste nachher nicht mehr, ob die Mutter dabei auch geschrien hatte, aber sie glaubte schon. Die Mutter schlug immer wieder zu, bis der Vater kam. Dann war Schluss. Der Vater zog die Mutter aus dem Zimmer, die Tür wurde geschlossen. Ruby leckte sich Blut von der Lippe und atmete vorsichtig ein und aus. Sicher würde sie wieder in den Schrebergarten geschickt werden. Onkel Dreas wartete auf sie. Sie fütterte immer für ihn die Tauben, und sie ging abends doch gern zum Brunnen und badete danach in der Küche in der Bütte, so wie Anna das machte. Und wenn im Café nicht alles aufgegessen worden war, dann bekam Ruby Butterbrote aus der Blechdose, die Tante Oda auf dem Gep äckträger befestigt hatte.
    Und es brachte nichts, hier zu Hause zu sein, wenn sie das Glück hatte, im Schrebergarten Leute mit Tauben und Brunnen zu kennen. Hier zu Hause gab es ja nicht einmal ein Radiogrammofon. Und der Vater spielte fast nie mehr den Walzer Nr. 7.
    Ruby wischte sich Vaseline von den Wangen und leckte noch mehr Blut von der Lippe. Dort, wo die Mutter zugeschlagen hatte, hatte sich ein dicker Klumpen gebildet. Sie setzte sich im Bett auf. Das Zimmer schwankte hin und her. Sie musste sich an der Bettkante festhalten. Draußen war alles still. Bald würde Tante Oda sie holen, dann könnten sie fahren.

O bwohl die Spritze sich anfühlte, als ob sie Fleisch zerkaute, ohne das zu wollen, und obwohl dem Mann vom Seruminstitut Haare aus den Nasenlöchern ragten und er nach Schweiß und ranzigem Fett stank, war sie doch erleichtert, als es passiert war.
    »Das ist ja mal ein nussbraunes und molliges kleines Mädel«, sagte er.
    Diphtherie und Pocken. Diese Krankheiten würde sie nicht bekommen, wegen dieser Spritze. Sie heulte auf, als die sie traf. Die Mutter kniff sie wütend in den anderen Unterarm: »Benimm dich anständig!«
    Ruby konnte sich nur vage vorstellen, welche probaten Mittel die Mutter gegen Krankheiten mit so bedrohlichen Namen wie Diphtherie und Pocken einsetzen würde. Der Mann mit den Haaren schrieb ein

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