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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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einzigen Tochter ...«
    »Aber was ist das denn?«
    »Es hat keinen Namen, es heißt einfach Bauchweh.«
    »Aber es ist nicht im Bauch, es ist in ... der Muschi. Und sie muss doch rein sein. Immer.«
    »Das weiß ich. Dass es nicht im Bauch sitzt. Daran kann ich mich noch erinnern, obwohl es viele Jahre her ist. Aber so heißt es eben. Schau her. Zieh dich aus, hol dir eine frische Unterhose und leg den Lappen hinein. Die anderen Lappen nimmst du mit in die Schule.«
    »Brauch ich sie in der Schule? Kommt denn noch mehr Blut? Ach, Tante Oda ... das tut ja so weh!«
    »Ja, es kommt noch mehr. Einige Tage lang. Und danach jeden Monat. Das bedeutet, dass du jetzt selber Kinder bekommen kannst.«
    »Aber ich will keine Kinder. Ein Kind? Ein lebendiges Kind? DAS WILL ICH NICHT!«
    »Aber, aber. Ich habe gesagt, dass du das kannst. Aber du hast ja keinen Mann. Komm her.«
    Ruby fiel ihr um den Hals und schluchzte in den Geruch der runzligen, braun gefleckten Tante-Oda-Haut und des frisch gewaschenen Kreppkleides.
    »Ich versteh das nicht, Tante Oda. Ich will nicht ...«
    »Hör mir zu!« Sie schob Ruby weg und umfasste ihre Schultern. »Wenn Blut kommt, bedeutet das, dass du kein Kleines bekommst. Wenn du mit einem Mann zusammen bist, und wenn er ... den Strom in dich fließen lässt, dann ist das gefährlich. Dann kann es sein, dass du beim nächsten Mal nicht blutest. Verstehst du?«
    »Ja«, sagte Ruby. Und damit hatte sie ihre Tante Oda zum ersten Mal angelogen.

    Sie machte ihr Examen rechtzeitig vor dem Skandal. Fräulein Lumby, die Leiterin der Realschule Forum, wurde angezeigt, weil sie sich angeblich an einem Schüler vergangen hatte, einem damals siebzehnjährigen Jungen namens Alfred. Alfred war strohdumm und hatte Fräulein Lumby lange Zeit in ihren Privatgemächern bedient, um sich bessere Noten zu sichern. Irgendwann später im Sommer gestand er die Sache weinend seinem Vater, und Fräulein Lumby landete sofort im Gefängnis. Das wurde erzählt. Es gab einen gewaltigen Skandal, von dem sogar im Hellelidenvej auf Amager zu hören war. Die Mutter verlangte von Ruby die Einzelheiten, aber die konnte keine liefern. Weshalb sie sie erfand, Episoden darüber, wie Alfred von einem errötenden Fräulein Lumby mitten aus der Stunde herausgeholt worden war. Dass Alfred den Jungen gegenüber damit geprotzt hatte. Dass er geschenkte Schokolade verteilt, dass Fräulein Lumby sich auch auf die Schreibtische mehrerer anderer Jungen gelegt hätte. Dass Albert ein ganzes Wochenende in Fräulein Lumbys Zimmer eingeschlossen gewesen war. Die Mutter war glücklich und entsetzt, und sie freundeten sich ein wenig an. Je mehr Einzelheiten Ruby auftischte, desto umgänglicher wurde die Mutter.
    »Gott sei Dank hast du rechtzeitig die Prüfung gemacht«, sagte sie und seufzte dramatisch.
    Die Schule wurde für immer geschlossen. Für einige Zeit kamen Internate dann ein wenig aus der Mode. Besserungsanstalten für richtig böse Buben hatten dagegen Zulauf. Was Ruby nichts anging. Das war ein abgeschlossenes Kapitel. Sie hatte Alfred kaum je bemerkt, und Fräulein Lumby war klein und grau, mit feuchten Lippen und großem Busen, eine Frau, die nur bei größeren Veranstaltungen und beim Empfang neuer Eltern zu sehen war. Dass der kleine Alfred seinen Strom in dieses alte Gespenst hatte fließen lassen, war ihr ein Rätsel. Was es mit diesem Strom auf sich hatte, war ein noch viel größeres Mysterium. Es gab so viel, was sie nicht wusste. Wann würde das Leben endlich
anfangen? Die Erwachsenen begriffen alles und hielten es für selbstverständlich – geschah das über Nacht? Zu welchem Zeitpunkt würde sie in den Spiegel schauen und darin eine Erwachsene erblicken?

    Die Anzeige entdeckte sie im Amagerbladet, zwei Monate vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Die Kopenhagener Post bot Lehrstellen für Telefonistinnen an. Sie ging zum Vorstellungsgespräch. Dort hieß es, sie könne am Tag nach ihrem 18. Geburtstag anfangen, das sei die unterste Altersgrenze. Außerdem brauche sie die Unterschrift ihres Vaters, da sie erst in einigen Jahren mündig sein werde. Und für die Telefondamen stünden in der Ahlefeldsgade Zimmer bereit.
    Telefondame. Das war die Zukunft. Das war die Tür, die geschlossen und von innen versperrt werden konnte. Und wenn sie hinausging und einige Kronen übrig hatte, konnte sie sonntags im Strandpavillon sitzen und eine Tasse Tee ausdehnen und zu den Feinen gehören. Ihr Zeugnis schmuggelte sie aus der Kommode des

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