Das Erbstueck
geplatzt waren, dann hatten sie mit Hammer und Meißel die Erzklumpen herausgeholt.
»Sie haben also selbst nicht im Arsenturm gearbeitet?«, fiel Mogens ihm ins Wort. »Beim Rösten?«
»Nein, ich war der Benjamin hier in der Grube. Die Farbproduktion war schon eingestellt worden, als ich angefangen habe.«
Dieses Bild symbolisierte so viel, das hatte Mogens schon immer gefunden. Dass in dem Augenblick, in dem das Erz während des Röstens die blaue Farbe hergab, die Ehe mit dem todbringenden Gift ein Ende nahm. Er sah es vor sich, wie es in den Giftfang aufstieg und wie es sich dort an den Wänden ablagerte. Schönheit und Tod, deren Wege sich trennten. Ästhetischer Genuss und Krämpfe mit schäumendem Gifttod, eingeschlossen in ein und demselben Klumpen aus unschuldig aussehendem Erz. Es war ein ungeheuerliches Bild: dass der Drang zur Schönheit zum Tode führte.
»Machen Sie hier Ferien?«, fragte der Mann.
»Ich wollte es einfach nur sehen. Das Blaufarbenwerck. Heute wird die Farbe ja aus anderen Ländern eingeführt, aber Norwegen und Dänemark haben ja gewissermaßen noch immer sehr viel miteinander zu tun. Und es ist eine fantastische Vorstellung. Mitten aus dem Berg und ...«
»Und Sie malen Porzellan?«
Mogens ahnte einen Hauch von Hohn in der Stimme des Mannes,
beschloss aber, ihm diesen Hohn zu lassen. Er war jetzt weit fort von zu Hause.
»Ja. Auf Porzellan. Das mache ich seit achtzehn Jahren. Ich bin Muschelmaler. Male Muschelmuster. Das, was hier oben Strohmuster genannt wird. Aber es ist kein Stroh, es ist ein Garten, mit Blumen und Gräsern. Eigentlich.«
»Ist das nicht langweilig?«
»Langweilig? Nein, ganz und gar nicht. Es ist das, was ich immer schon tun wollte.«
»Wird es gut bezahlt?«
»Nein.«
Der Mann nickte einige Male mit ernster Miene. Vermutlich war es ihm ein Trost, dass eine Arbeit, wie sie von vernünftiger körperlicher Arbeit gar nicht weiter entfernt sein könnte, zumindest schlecht bezahlt wurde.
»Blaumaler. Ein seltsames Wort. Guten Tag, ich arbeite als Blaumaler...«
Er lachte. Mogens stimmte höflich ein. Er war zwar weit von zu Hause, aber das Gespräch mit dem Mann konnte trotzdem seine Enttäuschung ein wenig mildern. Das mit dem toten Bruder war ziemlich dramatisch, er verbannte diese kleine Schande aus seinen Gedanken. Er war um der Kunst willen gestorben, aber das wollte Mogens nicht laut sagen. Eine Art Märtyrer? Nein, das wäre zu komisch. Er musste wieder lachen. Diesmal kam es von Herzen.
»Sie brauchen vielleicht eine Aufmunterung?«
»Aufmunterung?«
Der Mann zog einen Flachmann hervor, und Mogens begriff, was er gemeint hatte. Er hatte einen weiten Weg bis in seine Pension. Er nickte glücklich und erwiderte zum ersten Mal den Blick des Mannes.
»Ich kriege meinen Hals einfach nicht sauber, wissen Sie«, sagte der Mann. »Aber ich versuche es immer wieder – mit Knaster und einem Scharfen. Ja, Sie leben also in Kopenhagen. Und
sind den ganzen weiten Weg hergekommen. Mit dem Schiff, oder?«
»Mit Schiff und Wagen. Die Pension hat dafür gesorgt.«
»Sofie, ja. Die sorgt für fast alles!« Er lachte demonstrativ vulgär, und Mogens stellte sich plötzlich vor, wie die roten Wurstfinger sich um die eine von Sofie Bergh-Abrahamsens Brüsten schlossen. Sie war eine Witwe von vielleicht fünfzig, mit schwellendem Busen über einem strammen Gürtel mit klirrendem Schlüsselbund. Sie hatte durchaus Ähnlichkeit mit Anne-Gine zu Hause in der Vesterbrogade, obwohl Anne-Gine behauptete, zehn Jahre jünger zu sein. Möglicherweise war dieser ältliche Mann seine Zwillingsseele hier oben in Modum. So konnte ein Junge aus Westjütland also enden, dachte Mogens, als Pfeife rauchendes, rau hustendes, gebrechliches Mannsbild, preisgegeben den erotischen Launen einer üppigen Witwe.
»Sie kocht gut«, sagte Mogens.
»Norwegisch«, sagte der Mann. »Sicher ungewohnt für einen Kopenhagener wie Sie.«
»Durchaus nicht. Ah ... danke.«
Er leerte den Flaschenverschluss. Der Inhalt war selbst gebrannt, brennend heiß, mit einem Beigeschmack nach Omelett, seltsamerweise. Er kniff in der Sonne die Augen zusammen und fing an, den Mann zu mögen, der jetzt wieder wie ein Haugfossen losredete, unverständlich. Es ging um Arbeiter und Lohn und Norwegen und Dänemark. Und ein bisschen auch um Schweden.
»Wir müssen zusammenhalten, wir hier im Norden«, endete der Mann und betonte dabei jede Silbe.
Mogens nickte und bekam einen weiteren Verschluss.
»Aber ihr
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