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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich habe ein Kindermädchen und meine Arbeit.«
    »Herrgott. Ich würde dir so gern helfen, Ruby. Ach, mein Gott, so gern...«
    »Ich kann jetzt nicht mehr reden, hier warten noch andere. Grüß Ib!«

    Die kleine Therese war vier Monate alt, als der Brief kam, und der Vater hatte es schon angekündigt. Es ging darum, wie einsam die Mutter sich fühlte und wie ungezogen Ib war, und wie teuer alles wurde. Es war unmöglich, sich etwas Neues zum Anziehen zu kaufen, wenn man nicht die ganze Woche Haferbrei essen wollte. Das Haus ging vor die Hunde. Sie baute sich jetzt eine Pergola, um die Risse in der Mauer zu verdecken, und Dasses Mann, Egil, war herzkrank. Sie erwähnte die Scheidung oder die Nazifamilie mit keinem Wort, aber ganz am Ende des Briefes stand: Und jetzt bist du selbst ein Mütterlein geworden! Vergiss nicht, dass eine Kinderseele weich wie Wachs ist und ihr Leben lang jeden einzelnen Eindruck von Gut und Böse bewahrt. Und ist nicht die Liebe eines Kindes, die oft viel treuer ist als die der Erwachsenen, ein Schatz, der es werth ist, ihn zu besitzen?
    Sicher hatte sie das aus irgendeinem Buch abgeschrieben.

Teil III
    Denn die Lippen der Hure sind süß wie Honigseim,
und ihre Kehle ist glatter als Öl;
Aber hernach bitter wie Wermut und scharf wie ein
zweischneidiges Schwert.
Ihre Füße laufen zum Tod hinunter, ihre Gänge
führen ins Grab.
    Die Sprüche Salomos, Kapitel 5, Vers 3-5

I ch hasse Grün«, sagte Mogens.
    Für ihn war das eine krasse Aussage. Er äußerte sich sonst feminin und vorsichtig, mit vielen Einschränkungen, als fürchte er sich davor, Anstoß zu erregen, zu provozieren. Ich glaube vielleicht... ich meine, irgendwo gelesen zu haben... man sollte möglicherweise ... So redete er. Nicht einmal wenn er offen nach seiner Meinung gefragt wurde, konnte er eine eindeutige Antwort geben. Aber er wurde nur selten ganz offen gefragt. Er wurde überhaupt nur selten gefragt. Die Methode, mit dem Hintergrund zu verschwimmen, machte sich fast immer bezahlt. Ein blonder, dünner junger Mann mit runder Brille vor einem gesenkten Blick über bleichen Händen – warum sollte man wohl wissen wollen, wie der über irgendein Thema dachte.
    »Es ist eine falsche Farbe. Ein schändliches und krankes Gelb, das sich mit Blau vermischt hat, um sich zu verstecken.«
    Seine Stimme zitterte. Er hüstelte, um seine Gemütsbewegung zu überspielen. Lugte kurz zu dem Mann hinüber, der neben ihm auf der Bank saß. Es war ein Unbekannter. Mit einer unverständlichen norwegischen Aussprache. Mogens glaubte auch nicht, dass dieser Mann besonders viel von seiner raschen dänischen Rede verstand. Es war deshalb teilweise wie ein Gespräch mit einem stummen Schoßtier, zu dem man frei und unwidersprochen sprechen konnte.

    Sie waren von Grün umgeben. Von grünen Hängen und grünem Wald. Bestehend aus Chlorophyll, das durchaus kein schändliches Gelb enthielt, sondern das mit neuen Sprossen und neuem Wachstum nur so strahlte. Eine Kaskade von Frühjahrswuchs, nachdem der Schnee geschmolzen war und sich von den Bergen gewälzt hatte und den Wasserfall Haugfossen brüllen und dampfen ließ. Es war eine Erleichterung, die Augen auf den Wasserwirbeln und dem ruhigen Flusslauf darunter rasten zu lassen. Der Himmel war doch auch noch da, überzeugend blau, aber das Grüne übertönte alles.
    Er hatte von diesem Besuch geträumt, seit er vor achtzehn Jahren seine Lehre als Blaumaler in der Königlichen Porzellanfabrik angetreten hatte. Von dieser Reise zum Blaufarbenwerck in Modum, wo einst das Kobaltblau aus den Bergen geholt worden war. Jetzt saß er hier und war enttäuscht, und es war die grüne Farbe, die dafür büßen musste. Der unbekannte alte Mann hatte sich neben ihn auf die Bank gesetzt, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten, und sich langsam mit fetten, unförmigen Fingern, die sich kaum um den Pfeifenkopf krümmen konnten, eine Pfeife gestopft. Er war hier offenbar zu Hause. Mogens streckte die Finger der rechten Hand aus, bis die Gelenke knackten, ballte energisch die Faust und streckte dann die Finger wieder aus. Auf diese Weise hielten Konzertpianisten ihren Kreislauf in Gang; Chirurgen vermutlich auch, und er tat es ihnen nach. Finger und Hand mussten leben, und sie durften nicht zittern. Sie mussten jederzeit ihre Arbeit tun können.
    Weiter entfernt nahm eine Gruppe von jüngeren Männern ein Haus auseinander, Balken um Balken. Sie spuckten in die Hände und

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