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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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seid schon was Liebes, ihr Dänen.«
    »Etwas Liebes? Finden Sie wirklich? Das ist aber nett von Ihnen.«
    »Nett? Als ihr endlich eine sozialdemokratische Regierung bekommen habt, habt ihr die ganze Chose einem Zigarrensortierer übertragen.«

    »Ist das etwas Liebes? Reden Sie von Strauming?«
    »Er hat das Proletariat verraten. Ein Zigarrensortierer. Da fehlen mir die Worte!«
    »Zigarrensortieren ist eine wichtige Arbeit«, sagte Mogens. »Man könnte leicht die falsche Zigarre rauchen, wenn sie nicht vorher jemand sortiert hätte.«
    Es tat gut, zusammen mit einem Fremden zu lachen. Mogens machte das nur sehr selten. Er hatte Ferien. Das hier war fast die ganze Reise wert. Das hier und die Sache mit dem Bruder. Dass der sein Leben für das Blaue gegeben hatte.
    »Aber dass Sie Grün nicht leiden mögen«, sagte der Mann. »Grün ist doch das Leben an sich. Nach dem Blauen muss man sich ja zu Tode suchen, im ganzen Schwarz.«
    »Der Himmel ist doch blau«, wandte Mogens ein.
    »Der Himmel, ja. Aber vom Himmel ist verdammt noch mal nie etwas Gutes gekommen!«
    Er spuckte wieder aus. Mogens gab keine Antwort. Männer wie dieser begegneten ihm fast nie. Männer, die ihn an seine Kindheit erinnerten. Frode Nicolai konnte manchmal, in nüchternen Momenten, ähnlich übersichtliche Lebensweisheiten von sich geben. Aber in dem Moment, in dem Bier und Schnaps ihn seiner Geldsorgen und schweißstinkenden Halstücher enthoben, gab er sofort zu, dass der Mensch mehr brauche als nur die Deckung seiner Grundbedürfnisse. Und bei der Arbeit lebte Mogens in einer ganz und gar ästhetischen Welt. Einer Ästhetik, die erst zur Realität wurde, wenn Muskeln, Rücken und Kopf schmerzten wie bei einem simplen Arbeiter, das schon, aber das Ziel... das Ziel war das unnötig Schöne, die Schönheit, die weit über das hinausragte, was der Mensch in dieser schnöden Wirklichkeit eigentlich brauchte. So sah er das. Obwohl ein Teller dem anderen möglichst ähnlich sehen sollte, mit seinen Palmen und Ranken und Zungen. Es galt deshalb, immer mit Blick und Pinsel zur Stelle zu sein. Zu wissen, dass Menschen sich gerade über diesen Teller beugen und die einzigartige Schönheit dieser
Muschelmalerei bewundern würden, und vielleicht den Teller umdrehen und die Rückseite betrachten, wo sie neben dem Qualitätsstempel der Fabrik dann auch seine drei handgemalten Wellenstriche sehen würden, die den 0resund, den Großen Belt und den Kleinen Belt symbolisierten, während daneben sein eigenes schmales M saß.
    Ein Teller, der ewiges Leben besaß. Wenn nicht irgendein ungeschickter Pechvogel ihn auf den Boden fallen ließ.
    Sie tranken, bis der Flachmann leer war. Mogens genoss seinen leichten Schwips. Die Bauern hatten ihren Wagen voll geladen und trieben jetzt zwei Pferde an, die sich gewaltig ins Zeug legen mussten. Das alte Haus stand nun mit halb hohen Wänden da, ohne Dach, wie ein aus dem Boden ragender Schornstein.
    »Haben Sie je Verwendung für das gehabt, was hier hergestellt worden ist?«, fragte Mogens.
    »Ja, für den Sand. Nicht ich, aber wenn mein Vater schrieb. Auf altmodische Weise.«
    Mogens starrte ihn verständnislos an. »Den Sand?«
    »Schreibsand. Man hat die Tinte damit bestreut. Und sie dann fortgeblasen. Das weiß ich noch. Dass mein Vater auf das Papier blies. Der Sand war hellblau und kam von hier. Er war der Bodensatz aus der ersten Wanne, wissen Sie. Er ist jung gestorben. Ein Stier hat ihn vor einer Mauer zerdrückt.«
    »Ihren Vater?«
    »Er war ein großartiger Mann. Aber viel zu jung.«

    Der Sand. Mogens schloss die Augen und sah das Gesicht seines eigenen Vaters vor sich. Hörte ihn sagen, dass die Mutter es ihm verboten habe, die Tinte mit Sand zu bestreuen. Sie fand, in Paullund gebe es Sand genug, da brauche man den nicht auch noch in Dosen zu kaufen. Such deine Ehre nicht in deines Vaters Schande, denn die Schande deines Vaters gereicht dir nicht zur Ehre.
    Die Sonne verschwand hinter einer Wolke, ein kalter Wind lief seine Arme hoch, kroch unter die viel zu weiten Jackenärmel. Er
öffnete die Augen und musterte seine Hände. Mit Hilfe von Bimsstein hatte er sie einigermaßen feriensauber bekommen. Danach hatte er sie eingecremt, mit für Frauenhände bestimmter Creme. Der Porzellanstaub zog in jede Pore ein und trocknete die Haut aus, bis sie wie Kalkstein aussah. Von diesen Händen lebte er. Diese Hände, die die Heilige Schrift hätten halten sollen, waren nur noch Griffgeräte, während der Kopf die

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