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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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ungeheuer potent sein, oder vielleicht lebten sie auch normalerweise so sparsam, dass es ihnen ausreichte, für ein oder zwei Sekunden ein Paar Frauenbrüste umfangen zu können. Mogens wollte nicht glauben, dass dieser steife, riesige Alte mehr als Gefummel und Gegrabsche und nostalgisches Sabbern zu Stande bringen konnte.
    »Ich versuche zu arbeiten«, sagte er.
    »Das sehe ich doch. Ich wollte nur sagen, dass es Erbsen mit Speck gibt.«
    Und dass du bei ihr gewesen bist, dachte Mogens. Wie um zu triumphieren. Was bist du für ein Trottel. Ich habe doch meine eigene Sofie zu Hause. Und die habe ich sogar in verdammtem Überfluss ...

    »Und du bist den ganzen Weg hergekommen, um das zu sagen?«
    »Ich mache immer einen Spaziergang. Jeden Tag«, erwiderte Sivert und machte auf dem Absatz kehrt.
    »Verzeihung«, sagte Mogens. »Ich wollte nicht ...«
    Sivert drehte sich zu Mogens um, mit einem versöhnlichen Grinsen zwischen den Bartstoppeln.
    »Möchtest du vielleicht eine kleine Aufmunterung?«

    Und nach einigen Aufmunterungen wagte er dann wirklich den ungeheuerlichen Schritt, Sivert in seine Pläne für die zwölf Dessertteller der Modum-Serie, norwegische Blaufarbe. Entwurf Mogens Christian Thygesen einzuweihen. Ein ganzes Kattegat entfernt von Frode Nicolais ewiger Sauferei, konnte er den kreativen Aspekt dieser chemischen Verbindung namens Alkohol erfassen. Wenn er mit Frode zusammen war, war er fast total abstinent. Der Anblick der Schnapsflaschen in Frodes Hosentaschen verursachte in ihm Übelkeit und Resignation. Frode ... der war jetzt sicher mit Anne-Gine zugange. Das hier waren echte Ferien.
    Sivert half ihm bei der Suche nach weiteren Motiven. Unterst ützt von zischenden Flaschenkorken stand Mogens schließlich breitbeinig zwischen den Häusern des Werks, mit Besitzermiene und in die Seiten gestemmten Händen, und entdeckte Möglichkeiten in jeder Wand. So musste es sein, wenn man künstlerischer Leiter der Königlichen Porzellanfabrik war. Alles war Motiv. Alles konnte durch eine blaue Brille betrachtet werden. Es war prachtvoll! Er hatte auch Gerüchte gehört, dass noch ein kleiner Rest Kobaltblau von hier vorhanden sein sollte, eine Flasche Pulver, die in der Fabrik in Kopenhagen zur Erinnerung an die Modum-Produktion aufbewahrt wurde. Eine einzelne Serie von Desserttellern würde vielleicht mit dieser Farbe gemalt werden können? Das würde den Tellern etwas Einzigartiges geben, sie in einen historischen Rahmen stellen. Nur eine einzige Serie. Vielleicht als Geschenk für das Königshaus.

    Mogens holte tief Luft. Die Gedanken und Ideen überwältigten ihn, rührten ihn fast zu Tränen. Er merkte, dass seine Knie zitterten. Er musste sich zusammenreißen. Er war nicht allein.
    »Na, Sivert, mein Bester. Ich glaube, Sofie wartet mit Erbsen und Speck.«

    Sivert bemerkte die Veränderung dieses seltsamen dünnen, bebrillten Kragenproletariers aus Kopenhagen. Er hielt sein Kinn jetzt höher, den Rücken gerader. Er schwenkte die Ellbogen auf neue, freie Weise. Und diese zarten rosa Finger, die kaum jemals einen Erdklumpen angefasst hatten, er hatte ihren Eifer beim Zeichnen gesehen, die Kraft in der Schwäche. Und es war ja wohl ein Kinderspiel, im Werk zwölf Motive zu finden. Trotzdem war der Däne für jeden einzelnen Vorschlag ungeheuer dankbar und machte sich fleißig Notizen. Er wollte in den vier Tagen, die ihm hier noch blieben, genauere Skizzen anfertigen, sagte er.
    Aber witzig, das war er. Als junger Arbeiter hätte er hier oben nicht einen einzigen Tag überlebt. Gut, dass solche Leute in der Stadt Zuflucht suchen konnten, wo sie für die seltsamsten Arbeiten bezahlt wurden. Wenn er wenigstens ein echter Künstler wäre, wie die anderen, die hierher kamen. Die lebten von ihren Bildern, verkauften sie. Sie hassten das Grün nicht, sie liebten es und hielten diese Farbe durchaus nicht für falsch – was für ein blöder Spruch! Sie malten mit allen möglichen Farben. Die Gemälde bekamen elegante vergoldete Gipsrahmen, und der Käufer hängte sie an die Wand. Das hatte immerhin einen Sinn. Bilder waren Zierde, genau wie Tischdecken. Aber Teller, die ja mit Essen gefüllt wurden? Mit Essen, das herumgeschoben wurde und alles schmutzig machte, worauf der Teller direkt in die Spülschüssel wanderte? Unbegreiflich.
    Er folgte den eifrig gestikulierenden Ellbogen zur Straße und in Richtung Sofie. Er konnte dort noch einen weiteren Besuch absolvieren. Wenn er nur vorher ein wenig Holz holte

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